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zum Nachdenken und zum frischen Aussprechen über sich selbst zu bringen.

Wenn nun auch der Betrieb des deutschen Unterrichts in Zeit und in Stoff sehr mager erscheint, denn vom Besprechen oder vom Lesen deutscher Dichtungen ist niemals die Rede, so wurde eben wohl vorausgesetzt, daß die Anregungen früherer Klassen, das Haus, das Theater der Stadt, die in der Jugend der höheren Schule von selbst liegende Lust, sich nicht nur lateinischen und griechischen Poeten zu widmen, sondern auch deutsche kennen zu lernen, ergänzend einträten. Und das ist auch, wie später erörtert werden soll, der Fall gewesen.

Vom Deutschen zum Französischen: Dies war kein Zwangs­unterricht, sondern Wahlfach. Der Schreiber und seine nächsten Freunde haben es gern und fleißig getrieben. Hier mochte der Reiz wirken, daß es in der Wohnung des tüchtigen Schumann-Leclerq wie in einem Privatzirkel gepflegt wurde. Die Schüler hatten einen gewissen Einfluß auf den Lehrer. Er wählte das zu Lesende, und Lektüre war hier klugerweise der Mittelpunkt des Ganzen, nach den Wünschen der Teilnehmer. Ferner hatten ja doch auch Mädchen aus guten Familien ihren Zirkel bei demselben Lehrer. Dieser wußte das literarische und das gesell­schaftliche Interesse beider Kreise geschickt zu vereinigen. Von Zeit zu Zeit studierte er Auserwählten aus beiden Gruppen ein Theaterstück ein. Die Wahl der Rollen, das Einstudieren selbst, die Proben und zum Schluß die Aufführung vor den Familien­angehörigen gab selbstverständlich reiche Gelegenheit zu allerhand Freuden. Das Messen der eignen Kraft in solcher Betätigung, die billige Kritik an den mangelhaften Leistungen der Bekannten, Wahl und Ausputz des Kostüms, zarte Beziehungen während des Spiels, die sich vielleicht in irgendeiner Form auch nach der Festlichkeit fortsetzten – auch damals ein wonniges Behagen junger Menschenwelt, wie heute. Und es war ihnen eine stolze Sache, nach einem hübschen „Quartett“ gepudert und ver­kleidet vor die Zuschauer zu treten, unter denen Honoratioren der Stadt saßen: Frau Hofrätin Meißner, Herr Dr. Ficinus, Obersteuerrat Mühlhauser, Frau von Oppen, der ehemalige Stadt­kämmerer Schnabel. Ein lustiges Essen schloß das kleine Fest.

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/76&oldid=- (Version vom 6.3.2024)