Seite:Paul Rachel Altdresdner Familienleben.pdf/75

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

große Freiheit gegeben. Es durfte sich, wie es scheint, ein jeder sein Thema wählen. Naturgemäß traten die Schreibgewandten, die sich an ihrer Lieblingslektüre herangebildet hatten, besonders hervor. Gern wurden die Freunde oder irgendwelche Tages­ereignisse mit hineingeflochten. Einige Beispiele seien gegeben: Am 16. April 1831 las ein Schüler, namens Jenichen, eine Arbeit vor: Erinnerungen aus dem Tagebuche des beherzten Studiosus Skästig, und zwar ein Gespräch mit Johann, seinem Bedienten. Gemeint war der „Kommilitone“ Manitius, der aus Skäßgen unfern von Merschwitz an der Elbe stammte. In der­selben Stunde fand die Arbeit eines von Oppen: Drangsale eines Schneiders keinen Beifall. Adolf Bary, ein ganz besonders be­gabter Schüler, trug einmal eine von ihm verfaßte Novelle vor; die Szenen mit der Lisette, die berlinisch sprach, waren recht hübsch. Sengeboden, ein anderer, sprach in seiner Ausarbeitung von der Wehmut des Abschiedes, und so fuhr er fort: „gleich darauf zog ich die gebratenen Tauben aus der Reisetasche“. „Also, meinte der Rektor, Sie haben eine lange Wehmut; wenn Sie um die Ecke sind, fallen Sie über die gebratenen Tauben her.“ Als Poland in seiner Arbeit von seinen Gefühlen während der Septemberrevolution 1830 berichtet und sagt, er habe gebetet und das Polizeihaus habe aus seinem Vulkane brennende Papiere ausgespieen, erntet er nur die lebhafteste Geringschätzung.

Gegen solche freiere Themata fiel das des Tagebuch­schreibers im Sinne der Mitschüler sicherlich auch ab, obwohl es für ihn eine, wenn wahre, so sicherlich gute Zusammenfassung war. Er schrieb über „meine Studien in den Ferien“.

Das Vorlesen der Arbeiten brachte bei den gewiß oft zweifelhaften Gymnasiastenhandschriften Gelegenheit zu Verwechse­lung. So las Rektor Gröbel in einem ihm vorgelegten Brief an einen Freund den Eingang so: Dein langes Schwein statt Schreiben, worauf denn allgemeines Gelächter entstand.

Die Themata der zwei Prüfungsaufsätze – Michaelis 1831 und Ostern 1832 – lauteten: „Die vorzüglichsten Beförderungs­mittel des wahren Patriotismus“ und „Inwiefern bereiten die öffentlichen Schulen auf das körperliche Leben vor“, Aufgaben, die sicherlich geeignet waren, die 18–20 jährigen jungen Leute

Empfohlene Zitierweise:
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/75&oldid=- (Version vom 6.3.2024)