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der nachmalige Pastor Geißler zu Gränitz im Gebirge. Er war einige Zeit Hauslehrer des ältesten Sohnes gewesen, dem er beim Abschied Gellerts geistliche Lieder geschenkt hatte. Auf einer der bescheidensten Pfarren Sachsens saß er und war mit der Zeit ein etwas wunderlicher, aber sicherlich dabei höchst ge­mütlicher und lustiger Herr geworden. Über seine Erlebnisse auf der Pfarre, über seine Kämpfe mit den halsstarrigen Bauern haben die jungen Leute oft gelacht, während der Vater geradezu aufgebracht wurde. Einige Szenen schildern sie sehr lebendig in ihren Nieder­schriften. Im Pfarrhause war zweimal hintereinander der Ofen eingefallen; in seiner Angst hatte der Pfarrer, um das Feuer zu löschen, alles Geschirr, alle Milch-, Rahm- und Käsetöpfe hinein­geworfen. Einstmals ging die Familie Rachel mit ihm, der zu Besuch war, nach dem Großen Garten. Im Scherz fuchtelt der Familienonkel Winkler mit seinem Stock herum. Da ruft der kleine Pastor Geißler erschrocken: Schlagen Sie mich kleines Davidchen nicht!

In der guten Jahreszeit war, wie begreiflich, der Sonntag gemeinsamen Ausflügen gewidmet. Vater und Söhne gingen in die Umgebung der Stadt; beliebt war der Gang an Antons Garten hin (d. h. der Garten des Prinzen Johann Georg jetzt), den Weidenweg am Kaitzbach bis zum Roten Hause vor Strehlen; über die Höhen von Zschertnitz und Räcknitz wurde oft gewandelt. Hinter Moreaus Denkmal zeigte der Vater den Söhnen wohl die Dresdner Weichbildgrenze. In Räcknitz trank man vorzüglich mundendes Medinger Doppelbier. Über Leubnitz (nach echt Dresdner Sprechweise Leimnitz geschrieben!) hinaus sind sie nur selten gekommen; einmal sahen sie nahe diesem damals still ge­legenen Dorfe einen aufgedeckten Fuchsbau. Als sie einst von der Grünen Wiese nach Reick zu gingen, erblickten sie „rechts bei dem großen Sumpfe“ Wasserhühner und Kiebitze. Über Mockritz zurückkehrend, bemerkten sie mit Bedauern, daß die Reben im Weinberg bei Klein-Pestitz, an dessen Winzerhäuschen (neben „Café Weinberg“) heute noch als Wahrzeichen Kaleb mit der großen Weintraube zu sehen ist, erfroren waren. Die Söhne allein sind einmal bis Lockwitz gelaufen und von da wieder nach Dresden zurück; stolz verschmähten sie einen Sitz

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/62&oldid=- (Version vom 7.3.2024)