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gehalten, bei denen der Onkel, der nicht viel vertrug, gar bald, vom Geiste des Weines ergriffen, tolles Zeug zu schwatzen anfing. Man bereitete den Gästen ein besonderes Vergnügen, in­dem man sie nach dem Theater auf das Lincke’sche Bad führte und ihnen die hauptsächlich die Jugend entzückende Oper „Jacob und seine Söhne“ anzuhören bot. Beim Abschied wurden die Söhne für die Ferien nach Neustadt geladen, aber hübsch nach­einander. Am beliebtesten hierfür waren die Pfingst- und die Michaelisferien; da gab es Schützenfest mit Tanzvergnügen oder die ersten Wintertänzchen. Wie fest und treu die beiden Familien Rachel und Zumpe zusammenhielten, erhellt daraus, daß jeder bei Zumpes geborene Junge so wie der vorher bei Rachels er­schienene getauft wurde, und so gab es in jeder Familie einen Julius, einen Gustav, einen Hermann!

Beim Abschied in Dresden ging es gar zärtlich zu, wenn draußen vor dem Hause die Rosse des Herrn Akzisinspektors ungeduldig scharrten. Als 1831 die Cholera ihren unheimlichen Zug durch Europa hielt, bangten die weiblichen Familienmitglieder gewaltig davor. Die beiden Frauen, die Frau Buch­halter Rachel und die Frau Akzisinspektor, sanken sich weinend in die Arme – wer wußte, ob man sich in Neustadt oder Dres­den wiedersehen werde? Die Mutter sorgte in der Stille schon für alle möglichen Vorräte, denn wenn die Seuche kam, mußte sie mit allerhand Mitteln bekämpft werden – anderseits wurden die Lebens­mittel wegen mangelnder Zufuhren gewiß teuerer! So kaufte sie Brotzwieback auf und allerhand Pillen und Tränkchen, daß der Sohn niederschreibt: Bei uns sieht es aus wie in einer Apotheke.

Die Gefahr, daß die Cholera verschleppt werden könnte, führte auch dazu, daß sich die Obrigkeiten der Städte von Zu­reisenden Gesundheitsatteste vorlegen ließen. Als der junge Kreuz­schüler Michaelis 1831 nach Neustadt bei Stolpen wandern wollte, holte er sich ein solches auf dem Dresdner Rathaus und legte es auf dem Rathaus zu Neustadt vor. Er verleibte es als eine wichtige Urkunde neben kleinen Bildern, Blumen und Blättern dem geliebten Tagebuche ein.

Unter den von auswärts kommenden Gästen wird auch gern ein ehemaliges Mündel des Buchhalter Rachel genannt,

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/61&oldid=- (Version vom 7.3.2024)