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sie war aber etwas schlecht geraten und wurde – noch einmal gemacht. Endlich um 12 Uhr kam sie, und bald darauf die Gäste, unter ihnen der liebe Bruder der Geburtstägerin, der Onkel Winkler, der einen schönen Spitzenkragen mitbrachte.

Eine besonders geliebte Mitbewohnerin war die teuere Großmutter, die Mutter der Mutter. In kräftigeren Jahren hatte sie noch mitgeholfen in der Wirtschaft; sie ließ sich’s auch noch lange nicht nehmen, an jedem 15. Februar dem lieben Schwiegersohne, der sie, die ihres Vermögens durch allerhand Unglücksfälle be­raubte Frau, treulich erhielt, vortreffliche Festgerichte zu bereiten. Sie sind gut gewählt gewesen, die Rebhuhn-Pasteten, Muschel­saucen, italienischen Salate usw. und deuten daraufhin, daß sie einst in recht behaglichen Verhältnissen gelebt hatte.

Als sie älter wurde, flüchteten sich die Enkel gern zu ihr in die kleine Unterstube, in der sie lebte, trugen sie, da sie schwächer wurde, im Lehnstuhl in den Garten und lauschten gern ihren Erzählungen aus dem siebenjährigen Kriege. Da saß sie nun, wie sie uns das Bild von Luise Schrödel zeigt, unten vorm Lusthause oder drin in der Wohnung, mit ihren vorgesteckten Locken, das gute Gesicht von einer dicht gefältelten Haube um­geben. Bei guter Weile erzählte sie dem hochaufhorchenden Enkel von den Erlebnissen der Familie Rachel während der Belagerung von Dresden im Jahre 1760. Ihre Eltern hatten mit ihr im Hausraum und im Keller gewohnt. Vor dem Garten hatte die sogenannte Freipartei gelegen. Einige waren in dem Garten, um die unter einem Misthaufen verborgenen Koffer, die ver­räterisch entdeckt worden waren, auszugraben. Der Hausmann, ein Zimmermann, rennt nebst andern mit der Mistgabel hinter und sticht einen, der in den Staketen hängen geblieben, fast tot. Einmal guckt eine Waschfrau zum Boden heraus und zeigt, un­vorsichtig den Arm aus dem Fenster streckend, nach der Schanze, als es sogleich donnert und das ganze Dach zusammengeschossen ward, da die Freipartei denkt, es seien Spione da.

Da die liebe Großmutter bei den Familienausflügen nicht mehr mitgehen konnte, wurde ihr zu Liebe öfters einmal ein Wagen genommen. Sonntags früh wanderten Vater und Söhne nach dem Plauenschen Hegereiter (der jetzigen Wirtschaft zum

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/59&oldid=- (Version vom 7.3.2024)