Seite:Paul Rachel Altdresdner Familienleben.pdf/237

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

nach einem Spiegel, welchen sie holt. Er wollte seine Unterlippe sehen, die von der Fieberhitze schwarz geworden war, weil der­artige Kranke nur durch den Mund atmen. Er beruhigte sich bei der Versicherung, als ich ihm sagte, der Doktor werde ein bischen Salbe verordnen, damit er das Zupfen an der ver­trockneten Lippenhaut läßt. Dies that auch gute Wirkung“.

„Als ich ihm wieder behilflich gewesen, zog er mich an sich, klopfte mich auf die Achsel und streichelte mir den Backen. Ich bat ihn, die Augen zu schließen, um zu schlafen; da zog er mich wieder an sich und sagte mit fast unhörbarer Stimme: ,wenn ich kann!‘ Bald schloß er die Augen – nun schlummert er auch wirklich sanft“.

Wenige Tage darauf schloß der hoffnungsvolle junge Mann seine Augen für immer. Er wurde auf dem nun alten Leipziger Johannisfriedhof bestattet. 73 Jahre sind darüber hingegangen; aber noch heute lassen wir Überbliebenen dies Grab pfleglich er­halten, bis – es wird wohl 1916 geschehen – dieser Friedhof, wie im selben Jahr der Dresdner Eliasfriedhof, auf dem seine Groß­mutter, seine Eltern, seine Schwester ruhen, verweltlicht wird. Diese seine Schwester, Anna Rachel, ist sechs Jahre später, 1848, das Opfer derselben schweren Krankheit geworden, der er erlegen ist. Sie war den Brüdern und den Eltern eine stille, liebe Lebensgefährtin gewesen, die nach außen hin wenig hervortrat. Herzenskummer hatte sie früh getroffen, den sie, die erst 24 jährige, noch nicht überwunden hatte, als ihr Tod die Eltern in tiefen Schmerz versetzte. Bei ihr gedenkt man der Antwort Violas in „Was ihr wollt“ auf die Frage: „Was war ihr Lebenslauf?“

„Ein leeres Blatt. Sie sagte ihre Liebe nie
Und ließ Verheimlichung, wie in der Knospe
Den Wurm, an ihrer Purpurwange nagen.
Sich härmend, und in bleicher, welker Schwermut,
Saß sie wie die Geduld auf einer Gruft,
Dem Grame lächelnd.“

Ihre Tagebuchblätter enthalten kurze, schmerzliche Worte über inneres Erleben und Erleiden.

Hermann Rachel ist von seiner Familie, von seinen Freunden herzlich betrauert worden. Eine hochbejahrte Tante hat ihm ein schlichtes Trauergedicht geweiht. Auch Gustav Blöde, der Bruder

Empfohlene Zitierweise:
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/237&oldid=- (Version vom 18.3.2024)