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von einer Reise zurückgekehrt, zu so ernstem Werke nicht vor­bereitet zu sein, und wollte auf die Ehrenerklärung von früher zurückkommen. Die aus Meißen herbeigeeilte Partei war ent­rüstet über diesen Mangel an Mut und drang darauf, daß am Reformationstage bei Volkersdorf an der Straße zwischen Rähnitz und Bärndorf (nicht weit von Moritzburg) die Sache bestimmt ausgefochten werde. Für die wenigen dazwischen liegenden Tage reiste Hermann nach Leipzig. Er übernachtete am ersten Abend bei einem Freunde Kerstings in Riesa. Er fand da außer dem närrischen, witzigen Mann und der einfachen lieben Frau in­teressante Kinder, deren leider drei blind waren. Ihr Wesen und Treiben erschien ihm ganz merkwürdig; höchst rührend und wehmütig ergreifend die Liebe von zweien unter ihnen zueinander. Ihn mochte dies besonders beschäftigen; war doch sein Vater, der Kämmerer Rachel, ein eifriges Mitglied des Dresdner Blindenvereins seit dessen Bestehen. Uns befremdet gewaltig der Um­stand: drei blinde Kinder in einer Familie, und nur in deren Pflege. In Leipzig belehrte er sich noch eingehend über den Schießkomment; am 30. Oktober 1841 verließ er, von den Freunden herzlichst entlassen, die Stadt. Am 29. schreibt er in sein Heft „Gute Nacht; hoffentlich nicht die letzte in Leipzig“. Am 30. traf er mit seinen Helfern in Dresden ein, ging, tief in seinen Mantel gehüllt, damit er nicht auf der Straße er­kannt werde, nach Stadt Coburg. Während Kersting der Sohn in die Stadt wanderte, um Pistolen zu borgen oder zu kaufen, vertrieb er sich die Zeit mit dem Rheinischen Taschenbuch von 1840, in dem er hübsche Gedichte von Nicolaus Becker, dem Rheinlieddichter, las. Gegen Abend fahren sie in einem be­quemen „Wiener“ Wagen bei hellstem Mondschein nach Volkers­dorf, in lebendige Unterhaltung über Charakterentwicklung und Herzensbildung vertieft. Im Gasthof bitten sie um gute Unter­kunft; bald sind sie in abgelegener Stube, die sie dadurch noch sichern, daß sie die Fenster mit ihren Mänteln verhängen. Die Wirtsleute, er ein gutmütiger, geschwätziger Mann, sie eine sehr hübsche, stille bescheidene Frau, setzen das Essen auf und er­fahren der Vorsicht halber nur, daß die jungen Männer botanischer Interessen wegen gekommen seien. Nach Tisch vereinigt ein guter Weinpunsch Wirtsleute und Gäste; im Gespräch erholen

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/232&oldid=- (Version vom 17.3.2024)