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junger Mann war durch die Untreue der Braut schwer gekränkt worden. Das Mädchen, gescheit, feurig, leicht un­befriedigt, hatte während lang andauernder Abwesenheit des Bräutigams die Huldigungen eines jungen Theologen, der sich mit ihr zu treffen und zu spazieren nicht erfolglos angestrebt hatte, angenommen. Als Hermann die niedrige Handlungsweise des Mannes, der wußte, daß er sich hinterrücks um eine Braut bewarb, erfahren, war er schnell entschlossen. „Ich bin der Einzige, dessen Verhältnisse so sind, daß ich mit Leichtigkeit die Waffen zur Hand nehmen und selbigen Schurken züchtigen kann!“ Mit tiefer Empfindung liest er bald darauf die Briefe, die der schwer Getroffene an seine Familie geschrieben: „Der Himmel ist über ihm eingebrochen, das Höchste, Theuerste ihm geraubt – um so größer lastet der Schmerz auf seiner Seele: seine Briefe sind wehmütig und weich. Bald aber fand er sich wieder. Das letzte Abschiedswort mit den zurückgegebenen Ringen muß der Unglückseligen erst den Verlust in seiner ganzen Größe offenbaren. Es ist der echte Nachklang einer wahren Liebe, warme einfache Worte, denen sicher Überzeugung zu Grunde liegt.“ Der Gegner erhielt nun einen Brief von dem ritterlichen jungen Mann und soll sich äußern, ob er die Sachlage gekannt und doch so ge­handelt habe, wie er gehandelt hatte. Er fand nicht den Mut, wahr zu sein, wich aus, verlangte die „Legitimation“, mit der jener seinen Brief geschrieben, warnte vor einem „Eclat“, kurz, er kniff, wie der studentische Ausdruck ist. Die Antwort war: er habe Genugtuung zu leisten! Die Vermittelung, mit etwas zitteriger Stimme von einem Verwandten hervorgebracht, wurde fest zurückgewiesen. Dadurch erreicht er, daß sich der Beschuldigte zu stellen bereit erklärte, und zwar wegen seines „Theologentums“ mit Pistolen. Doch benutzte der Unterhändler diesen Vorschlag dazu, den Forderer zu erweichen, er solle sich mit einer Ehren­erklärung begnügen. Dieser aber blieb fest. „Was nützt eine Ehrenerklärung? Die Welt erfährt selbige nicht, und ihr gegen­über ist man sich Ehrenrettung schuldig. Dann wäre es leicht, jedes Mädchen zu umwerben und mit ihr Rendezvous vorzunehmen, unbekümmert um ihre Verhältnisse, unbekümmert um den Ausgang. Mag er so viel Schuld haben, wie jeder andere, er kannte den Ver­lobten, wußte um das Verhältnis und durfte nicht ins Blaue hinein

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/230&oldid=- (Version vom 17.3.2024)