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Am letzten Tage werden die Ränzel geschnürt, die Gäste verlassen sämtlich das Haus in einer Kalesche, die sie über Leisnig nach Oschatz führt, von wo sie nach zwei Seiten, Dresden und Leipzig, auseinandergehen. In Leisnig wird das Schloß bestiegen, die Ruine bewundert, die anmutige Aussicht auf Kloster Buch und seine Waldungen genossen. Der Rentverwalter, ein alter, freundlicher Mann, führt die Gesellschaft durch die wohl­erhaltenen Räume des Schlosses und berichtet, daß der König Friedrich August II. alle Sorgfalt zur Erhaltung des Ganzen empfohlen habe. Feierlich wird ihnen zu Mute, als sie die ehrwürdige Schloßkapelle betreten. „Ihr freundliches Gewölbe mag wohl oft von holden Stimmen erfüllt worden sein, Stimmen von reinen Seelen, rein wie Sie, die jetzt andächtig darinnen aufschauen.“ Um die Gefühle festzuhalten, die er dort selbst empfunden, fügt er aus Lenaus „Wurmlinger Kapelle“ seinem Tagebuch die Zeilen ein:

Leise werd’ ich hier umweht
Von geheimen, frohen Schauern,
Gleich als hätt’ ein fromm Gebet
Sich verspätet in den Mauern.

Später drückte er seine Gefühle in folgenden zwei Versen aus, die ich, mit dem Vermerk „Leisnig“ versehen, in seinen Papieren gefunden habe:

Als ich eintrat in die alte Schloßkapelle,
Rings nur Schutt und alt Gerümpel sah,
Glaubt’ ich fast, von hier sei Gott gewichen,
Wo kein Kreuz und kein Altar mehr war.

Gläubig schlugst du da den Blick zum Himmel,
Seelenruhig war des Auges Strahl,
Und der Blick, der mich getroffen,
Gab mir Lieb und Glauben auf einmal.

Wie so manche andere seiner Lieder oder Liedentwürfe, haben auch diese einen Anklang an Lenaus innige, dabei schwer­mütige Weise.

Wenige Monate nach dieser dörflichen Idylle brachte ihn ein schwerer Kummer, der die Seinigen getroffen, und sein ent­schlossener ritterlicher Sinn – auch in dörflicher Gegend – in eine gefährliche Lage. Ein ihm verwandtschaftlich sehr nahe­stehender

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/229&oldid=- (Version vom 17.3.2024)