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allmählich herausblickte. Herzlich wurden sie empfangen und während der drei Tage, die sie da verweilten, auf das gast­lichste bewirtet. Wie wohl war ihm zu Mute, wenn er, aus der gemütlichen Fremdenstube herabblickend, das ihm so herzlich be­freundete Mädchen, das eben seinen 19. Geburtstag feierte, bei einfacher wirtschaftlicher Tätigkeit auf der breiten, behaglichen Terrasse vor dem Hause decken und auftragen sah. Wanderungen in die benachbarten Täler, wobei Beeren und seltene Pflanzen unter traulichem Geschwätz gesucht wurden, erfreuten das junge Volk. Beim heiteren Mahle ließen die Wirte die Gäste und die bekannten Familien in Dresden „leben“. Dem Städtebewohner machte es Spaß, einer Pferdefütterung beizuwohnen; bei einem Besuche auf einem benachbarten Rittergute sah der Student zum ersten Mal einen alten Kachelofen mit eisernem Kasten, auf dem eine Ansicht von Leipzig mit Jahreszahl zu erblicken war.

Nachdem sich die hilfreichen Jünglinge an einem Morgen flott und lustig am Schotenaushülsen beteiligt hatten, wanderten sie in die nahe Stadt und begrüßten die Inhaber der Baumwollenfabrik Weber und Dietrich. Zuvorkommend wurden die jungen Leute aufgenommen und herumgeführt. Wie staunte er über die Zusammensetzung der künstlichen Maschinen und über den inneren Zusammenhang der äußerlich so einfach erscheinenden Arbeit! Machte doch schon damals jede einzelne Spindel in der Minute 4000 Schwingungen. Genau bucht er die einzelnen Vorgänge, die ihn lebhaft interessieren. Zum Schluß fügt er die kurze Notiz hinzu: „Bleich und siech die Arbeiter, besonders aus dem weiblichen Geschlechte“. Nachmittags wandern sie durch ein lieb­liches Tal nach den Schieferbrüchen von Penna, nördlich von Rochlitz. Der Schulmeister des Ortes führt die Gäste durch 5–6 Brüche. Er beobachtet genau, wie mit den 2–3 Zoll langen Meißeln die einzelnen Platten abgelöst werden, die als einfacher Dachschiefer oder große Tafelflöze erscheinen.

Am Abend erwartet sie als ein besonderer Spaß eine Theatervorstellung in der kleinen Provinzstadt Rochlitz. Sie sitzen als „noble Leute“ im Parterre, müssen die Leistungen der Männer gelten lassen; die darstellenden Damen sind ihnen aber bedauerlich. Als sie aus Hohn klatschen, erregen sie allgemeines Aufsehen unter dem Provinzpublikum.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/228&oldid=- (Version vom 17.3.2024)