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sie gedichtet. Eines zeigt, wie er schon als Primaner in sich gekämpft. Am 7. Juli 1838 abends 3/4 12 Uhr, als er vom Geburtstagsfeste nach Hause gekehrt war, schrieb der 18 jährige noch „in tiefer Nacht“:

Noch fühl ich lau der Sprache Athemwehen,
Noch seh ich dich im weißen Lichtglanz stehen,
Wie du der Schwester durch des Kusses Banden
Geschwisterlieb’ und -treue zugestanden!
Du fühltest nicht, was ich bei diesem Kuß gelitten,
Wie stark Vernunft und Herz im Innern stritten
Und jedes sich in Gründen überbot?
„Du Thörichter, was wagst du zu verlangen?
Was hilft es dir, den Träumen nachzuhangen,
Die wieder dir die kühle Tagesluft verweht?
Glaubst du, was dir die Phantasie in Träumen zugesteht,
Das müßte dir das kalte Leben bieten?
So leicht erringst du nicht den innern Frieden.“
Doch milde und verführerische Worte
Erklingen sanft mir aus des Herzens Pforte,
Versöhnen mich mit deinem Wiegen-Tag....

Hier bricht das Lied ab. Im Sommer 1839, genau ein Jahr später, sollte ihn die Nachricht treffen, daß sie für ihm immer verloren sei. Es ergriff ihn denn doch gewaltig. Er schreibt in Leipzig: „Es öffnete sich am heißen Tag die Thür; ‚einen Dreier, Herr Rachel‘ spricht Herr Cichorius, der Briefträger. – Aus Halle – von Ihr! Freudig gehe ich zum Fenster zurück, öffne den Brief und will die Schilderung Ihres freudigen Herzens mit heiterer Laune im Angesicht des heiteren Himmels genießen. Der Brief war kurz, aber des Lesens war kein Ende. Starr durch­lief ich immer wieder die wenigen Zeilen; starr und stumm hielt ich ihn in den Händen – bis ich endlich erwachte und laut hervorbrach. Mußte ich mir’s doch endlich gestehen, daß es wahr sey, daß Ich ich sey und Sie den Brief geschrieben; warum? Um mir feierlichst zu melden, daß Sie verlobt sey seit dem 9. Juli 1839 mittags. Ich fühlte nun meinen Verlust und die grausige Öde, welche mich nun umgäbe und in mir selbst wäre. Bald löste sich der starre Schmerz, ich dankte Gott, daß Er Ihren Wunsch erfüllt, Ihre Sehnsucht befriedigt, daß Sie nun ein Herz besitze, welches Sie liebe und verstehe und welches Sie auch für das ganze Leben offen als das Ihrige verehren könne.

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/221&oldid=- (Version vom 16.3.2024)