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Am Nachmittag, nachdem er in der wärmenden Sonne, an einen Weinpfahl gelehnt, in der Griseldis gelesen, geht es nach der Birkenruhe. Wieder lagerte man sich fröhlich, plauderte und neckte sich untereinander. Nach dem Abendessen wurde, um es noch romantischer als am Tage vorher zu gestalten, ein Auf­zug der deutschen Götter unter Anführung Rübezahls nach der römischen Bosel unternommen. „Geisterhafte Gestalten mit Strohbündeln versammeln sich im Hofe, ziehen den finsteren Weg dahin; allgemeiner Fackeltanz mit den lieblich verhüllten Hexeleins, wobey Geistersang ertönt. Zuletzt Rückzug ohne Ordnung und „Uniform“, jedes trägt sein Bündel unter dem Arm, nur Busso [ein schöner junger Leutnant, Neffe des Generals, von allen verwöhnt] heuchelt in seinem Pelze und mit seiner Jagdtasche noch Gottheit.“

Der folgende Tag bringt einen Gang durch den Weinberg; sie sammeln Früchte, schneiden Trauben und wandern mit ge­fülltem Korbe nach der „Grotte“. „Trotz der feuchten Kälte bleiben wir, eng aneinander geschmiegt, plaudernd sitzen. Er­zählungen aus der Jugend; Erinnerung gaukelt durch die Jahre der hellen, heitern Kindheit, wobei ich leider schon damals, gerade wie jetzt, den inneren Frieden vermissen muß. Liebesfragen, die ich offen beantworte, wodurch ich alle Ruhe verliere.

Mein Herz ward schwer!
Ich weiß um wen!“

Da kommt die Nachricht, Idas Verlobter, Robert Prutz, werde eintreffen. Demoiselle Vetter, die gemütliche Gastgeberin, wird spitzig und hält eine tüchtige ‚Winzerpredigt.‘ In das einfache Haus, wo die jungen Leute wohnten, könne sie den Doktor nicht geben; deren Genügsamkeit und Liebe, die den Mangel alles Luxus gern entschuldigte, kenne sie; aber der Doktor, der Doktor! Ins Gynäkeion – das eigentliche Weinbergshaus, in dem nur die Frauen wohnten – dürfe er auf keinen Fall, also werde sie ihn in dem Gasthof einquartieren!

Hier ist es vielleicht an der Zeit, über des Tagebuchschreibers Freundschaft mit Robert Prutz zu sprechen. Das Verhältnis zu ihm war nicht leicht, denn Prutz, einige Jahre älter als er, war, nachdem er Philologie studiert hatte, nahe daran, sich als Privatdozent zu habilitieren.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/219&oldid=- (Version vom 16.3.2024)