Seite:Paul Rachel Altdresdner Familienleben.pdf/216

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

als er mit den drei Brüdern Reinhard eng umschlungen auf dem Vorsprung des Schloßberges stand und sehnsüchtig mit ihnen nach der Aussiger Gegend ausschaute, sie aber, die Brüder Her­mann, Oswald und Otto, sich in heiliger Stunde gestanden, daß sie alle drei einst das teuere Mädchen im Herzen getragen, daß aber zwei zu Gunsten des einen Bruders auf sie, die nun auch diesem verloren war, verzichtet hätten.

Wie er diese sentimentalische Reise, zu dem ihm der Vater 4 Taler gestiftet hatte, beendigt hat, ist nicht vermerkt; daß aber das Herzensverhältnis des Freundes mit dem ihm so teueren Aussiger Mädchen nicht nur „sentimentalisch“ zerfloß, sondern bei ihr sich auf ernstlichem Grunde entwickelt hatte, be­weist die Schreckenskunde in späteren Aufzeichnungen Hermanns, daß sie noch im selben Jahre von schwerer Gehirnentzündung ergriffen wurde, von der sie nur langsam genas. In ihren Phantasien hatte sie – charakteristisch für die Zeit – oft Schillersche Gedichte sich selbst laut vorgesprochen: Das Ideal und das Leben (jetzt wohl selten gelesen und gelernt!), Des Mädchens Klage und ,Fridolin‘.

Der Herbst des ersten Studienjahres brachte dem jungen Mediziner einen heitereren Ausflug nach Spaar bei Meißen auf den Weinberg der Blödeschen Familienfreundin Demoiselle Vetter.

Zur Weinlesezeit versammelte sie gern junge Verwandte bei sich. Die leider auch abgebrochene Schilderung zeigt harmlos heiteres Wesen auf dem für die Stadt Meißen so wichtigen Granitgebirge. Am 19. Oktober sollte die lustige Reise mit der Leipzig-Dresdner Eisenbahn bis Oberau angetreten und dann zu Fuß vollendet werden. Auf dem Wege zum Bahnhof aber trafen sie den edlen Meißner Botenwagen und „sintemal und alldieweil der Marsch von Oberau nach der ,Spar‘ auch nicht zu den besten Wegen zu rechnen, ließen wir uns in diesem Ruhesitz nieder. Die Genossen drin werden amüsant, wenigstens den Humor, der in mir sitzt, anregend. Ein Vieh- und Getreide­händler, mit großem Vielwissen begabt, aber von wenig Muth beseelt, denn der Dampfwagen war seinem Sinne zu gefährlich – ein in sich hinein gekrümmter Beamter, ein graues, grießgrämiges Männchen mit verseßnen Hosen, von gleichem Muthe

Empfohlene Zitierweise:
Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/216&oldid=- (Version vom 16.3.2024)