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Seine künstlerischen Neigungen trieben ihn auch dazu, Bilder zu betrachten und sich über sie Rechenschaft zu geben. Schon als Kreuzschüler war er bei Arnold am Altmarkt so ein­geführt gewesen, daß er sich neu ausliegende Kupferstiche in den Geschäftsräumen betrachten durfte. In Leipzig besuchte er den Kunstverein und schilderte mit einer gewissen Begeisterung, was er gesehen; so einmal das Rathaus von Löwen! Die Freunde untereinander beschreiben sich in ihren Briefen, was sie an schönen Bildern betrachtet; er macht sich von diesen Notizen wieder Ab­schriften in sein Tagebuch.

Nach all dem Vorstehenden läge der Schluß nahe, daß ihn sein medizinisches Studium nicht allzu sehr gepackt habe. Es macht dann und wann diesen Eindruck, aber allmählich wachsen die Einträge darüber, vertiefen sich die Bemerkungen. Als er im Frühjahr 1840 das menschliche Auge studiert, dann geht es ihm wie seinem Freunde Hermann Reinhard.[1] Er schreibt: „Je mehr sich mir frühere Rätsel entwirren und zur Aufklärung kommen, um so anziehender und interessanter wird das anhaltende Büffeln. Ich erinnere mich an Hermann Reinhards Brief, worin er mir seine Begeisterung schildert, als die Naturwunder nach und nach vor seinen Blicken heller werden und klarer erscheinen.“

Zwei Interessen traten dagegen ganz zurück: das kirchliche und das politische Leben. Nur an den Karfreitagen vermerkt er, daß er, wie üblich, mit der Familie zur Kirche gegangen sei; von irgendeinem Geistlichen, dessen Predigten er etwa gern gehört hätte, ist nie die Rede. Nur von einem längeren Besuche in der katholischen Hofkirche spricht er einmal. Als Gymnasiast geht er hinein, „ennuyiert“ sich über die müßigen Pflastertreter, welche gierig nach den Frauen herumlugen. Er hört Musik und Predigt, an einen Pfeiler gelehnt. Die Predigt ist gut, aber die komische Sprache, der seltsame Vortrag macht das Anhören un­leidlich. Schließlich hört er nichts mehr, gibt vielmehr seinen Gedanken Audienz. In Leipzig ist er dann und wann einem Kommilitonen zu Gefallen in dessen Seminarpredigt gegangen.


  1. Hermann Reinhard, ebenfalls Sohn des Stadtgerichtsrats, geb. 1816, gest. als Präsident des Landesmedizinalkollegiums 1892.
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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/197&oldid=- (Version vom 15.3.2024)