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Rührung entlockten ihm Sands Leben und Briefe. Sand er­scheint ihm darin „so rein und hehr, daß man ihn nur bedauern kann und lieben muß. Seine Briefe an die Mutter sind so schwärmerisch herrlich, die ihrigen so unendlich liebreich besorgt, nachsichtig bis zum letzten Todesmoment, sein ganzes Wesen ihr so klar, daß sie nicht einen Tadel über die Lippen bringt. – Heiße Tränen geweint –, zumal bei den letzten Briefen, da er schon gefangen in Mannheim! Solche Mutterliebe, die so unentstellt und frei von nichtigen, kleinlichen Rücksichten sich zeigt, kann den letzten Lebensmoment noch zum schönsten machen. Er bedurfte keiner Geliebten, ja fast keines Freundes – sie konnte ihm alles ersetzen, so verstand sie, in sein Wesen einzugehen!“

Seine Begeisterung fürs Lesen trieb ihn begreiflicherweise dazu, Freunden und Freundinnen Briefe oder einzelne Gedichte warm zu empfehlen. In Leipzig bildeten er und seine Freunde einen Poetischen Verein, in dem Eigengut oder fremdes Gut vorgelesen und kritisiert wurde. Nicht immer mußten es Gedichte sein; so beweist das Vorlesen eines Artikels über Emanzipation der Frauen andere Interessen. Aus der Schilderung solcher Abende geht hervor, daß sie sich Aufgaben stellten (z. B. eine Ballade), aber bald einsehen mußten, daß sich die Phantasie nicht befehlen läßt. In diesem Verein war einige Semester Mitglied Emil Rumpelt aus Dresden, der gerade damals, nachdem er schon kleinere Sachen hatte erscheinen lassen, z. B. Eduard Sternthal, eine Charakterskizze, seine Freunde damit überraschte, daß er sich exmatrikulieren ließ und unter dem Namen Emil Walther seine Bühnenlaufbahn zu Weimar begann, die er 1888 zu Dresden in ehrenvoller Weise beschloß. Wie so vielen jungen Leuten war auch Rachel das Lesen mit verteilten Rollen im Kreise frischer, junger begeisterter Mädchen hoher Genuß. In dem Hause des sehr angesehenen Leipziger Domherrn Friderici wurde er zum Lesen mit verteilten Rollen eingeladen. Die Ge­sellschaft beschloß, das Lustspiel Bauernfelds „Bürgerlich und Romantisch“ zu lesen. Merkwürdigerweise konnte in Leipzig zunächst nur ein Exemplar aufgetrieben werden. Hermann ver­sprach, sein Bestes zu tun, von Dresden Exemplare zu beschaffen. Durch einen Freund gelang es ihm auch, 4 Stück Zedlitzischer

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/193&oldid=- (Version vom 15.3.2024)