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hatte sich ein Corneliuskirschbaum weitverzweigt. Unter ihm war eine natürlich weiß gestrichene Rundbank angelegt, zum behaglichen Sitzen einladend. Am Ende des Gartens aber war eine hochgittrige Laube, mit Pfeifenkraut bewachsen. In dem gastlichen Hause verkehrten viele Personen aus den Gelehrten­kreisen der Stadt und des Landes. War doch der Superintendent Großmann aus Grimma, wenn er zum Landtag nach Dresden kam, stets der gern gesehene verehrte Wohngast im Hause. Niemand verließ diesen Alt-Dresdner Wohnsitz, ohne Früchte oder Gartenblumen als liebenswürdiges Andenken mit nach Hause zu nehmen. Hier war es, wo Hermann Rachel so gern gesehen war. Da er sehr gesellig lebte und viele Verbindungen pflegte, kam es wohl vor, daß er statt zu rechter Abendzeit erst in der zehnten Stunde am stillen Haus die Klingel zog. Bald wurde es lebendig. Rektors Töchterlein, die ihn als liebens­würdigen und heiteren Tänzer verehrte, öffnete und rief dem Vater in das Studierzimmer hinein: „Hermann Rachel ist da!“ Der würdige Mann liebte den einstigen Schüler, den Sohn seines angesehenen Freundes, des Stadtkämmerers, sehr, zog sich den Schlafrock aus und den braunen Tuchrock an und begab sich hinunter in das Wohnzimmer, um sich an dem Gespräch des jungen Mannes und seiner jungen Töchter zu erfreuen. Eine dieser Töchter des alten Rektors, Rosalie genannt, die in späteren Jahren eine treue Freundin der Familie Julius Rachels, namentlich seiner Gattin Caroline und ihrer Kinder werden sollte – Dank sei ihr dafür! – hat ihm zwei gar schöne Andenken, so recht im Biedermeierstil gehalten, selbst bestickt: eine Vielliebchen-Brieftasche, auf einer Seite mit einem zierlichen Blumensträußlein, auf der anderen mit einem Blumenkränzchen; darin liegen noch heute vertrocknete Blumenblätter und ein Vielliebchen-Vers:

O glaub es sicherlich,
Mein Herz schlägt nur für dich!

Das andere Liebeswerk ist eine Zigarrentasche; auf einer Seite ein prächtiger Blumenstrauß, auf der anderen drei zechende Studenten, die die Bierkrügel hoch, die langen Pfeifen stramm halten! Beide Erinnerungsstücke habe ich in den Biedermeierglasschrank des Dresdner Kunstgewerbemuseums gestiftet.

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/190&oldid=- (Version vom 14.3.2024)