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lebhaftem Gefühl für alles Gute und Schöne, und mit heiterem frischen Geiste, dann werden Sie am ersten glücklich sein! In diesem süßen Glauben will ich heute schließen.“


Aus diesen Zeilen geht außer der freundlichen Beurteilung des liebenswürdigen Menschen auch hervor, daß er trotz seiner jungen Jahre und seiner heiteren Beanlagung zu trüben Gedanken, zu allerhand Grübeleien oder, wie er selbst gern schreibt, zu Tüfteleien neigte. Sein ganzes Wesen hatte ihm viele Freunde erworben; wie er leicht entzündbaren Herzens für diese und für liebliche junge Mädchen in den Familien schwärmte, mit denen seine eigene verkehrte, so wurde er von diesen allen mit inniger Freundschaft, mit süßer Schwärmerei aufgenommen. Nach solchen Stunden und Tagen wollte ihm die alte gleiche Arbeit der Schule oder später des Studiums nicht so recht schmecken. Dazu kam, daß er als jüngster in dem Kreise, den er sich geschaffen hatte, mehrmals erleben mußte, daß doch schließlich reifere Männer den Mädchen nah und immer näher traten, für die er in Liedern, auf Bällen, ländlichen Festen geschwärmt hatte. Dann kam er sich verlassen, verlassen und unglücklich vor. Verlobungs- oder Hochzeitstage seiner Flammen von einst wurden für ihn somit Tage der Qual und der inneren Zerrissenheit, tiefster Unzufrieden­heit. Statt durch kraftvolle Arbeit dies abzuschütteln, versank er dann in Unmut und Zweifel an sich selbst und geriet in un­fruchtbares Grübeln über sich selbst. Er beherzigte nicht das Wort Goethes: Wie kann man sich selbst kennen lernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche, deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an dir ist.

Ein anderer schwerer Kampf war ihm beschieden. Seine Mutter, selbst etwas künstlerisch angelegt, denn sie zeichnete sehr hübsch, dichtete gern und hatte in ihrer Jugend viel gesungen, die Harfe gespielt, beobachtete mit Kummer den leichten, unsteten Sinn des Sohnes, sein Unvermögen, mit Geld umzugehen, und mochte oft mahnen, warnen, tadeln. Nach solchen Auseinander­setzungen über „Lebensart und Lebensklugheit“ zog er sich wohl verstimmt auf seine Stube zurück und stürzte sich mehr in Dich­tungen, als in Arbeit. In solcher Stimmung las er dann zu seiner Befreiung mit Begeisterung. „Höchst reizendes Buch,

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/180&oldid=- (Version vom 14.3.2024)