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schnelle – ich sehe nach der Uhr’ eine Aufgabe hin. Doch ich brauchte lange, ehe ich meine Besinnung zusammen hatte. Dann machte ich es rasch fertig und trug es hinaus. Er sah mich an und sprach: ‚Das ist falsch!‘ War ich erst ohne Fassung über die Worte: ‚Sie sind ein blinder Mensch, ich kann Sie nicht gebrauchen‘, so wurde ich es nun vollends durch die kalt und malitiös ausgesprochenen Worte: ,Das ist falsch!‘ – Ich setzte mich wieder hin, wollte arbeiten, es war nicht möglich. Immer fielen mir wieder die vor allen Leuten gesprochenen Worte ein: ‚Sie sind blind!‘ Mein Innerstes war furchtbar aufgeregt. Plötzlich mahnte Leonhardi wieder. Ich raffe mich etwas zu­sammen und mache es noch einmal, doch – wie ich es mir nun vorher dachte – falsch. Denn ich wußte nicht, was ich im nächsten Augenblick gerechnet hatte. Endlich setze ich mich noch­mals hin, fange wieder an, streiche aus – am Ende stütze ich mich mit beiden Händen auf den Tisch, lasse die Arbeit liegen und sammele so nur einigermaßen meine Gedanken; ich fange wieder an, finde Zusammenhang und mache es fertig. Noch ehe ich es übergab, sagte ich ihm mit ruhigen Worten und mit Fassung den ganzen Zusammenhang und meinte, daß ich es zu Haus für Spaß erachtete, so eine Aufgabe zu lösen, doch hier nach solchem Auftritte sei es unmöglich, etwas Richtiges zu Stande zu bringen, wenigstens gehöre da einige Zeit dazu, um das zu vergessen. Er hörte mich ruhig an, sah mir scharf ins Gesicht und erwiderte gegen mein Erwarten: ,Das sehe ich ein, und Ihnen ist es nicht allein so gegangen, darum will ich Ihnen jetzt keine Aufgabe weiter geben; kommen Sie in acht Tagen wieder.‘ Dies freute mich um so mehr, als ich eine ganz andere Antwort erwartet hatte. Ich empfahl mich und dachte im Fort­gehen an meinen Mitarbeiter, der vor Schreck über das ebenfalls gegen seine Arbeit ausgesprochene: ,Das ist falsch!‘ in Ohnmacht fiel und Nasenbluten bekam. Dieser wurde ebenfalls mit der Weisung, in acht Tagen wiederzukommen, entlassen. Vorher war er aber natürlich wieder durch Eau de Cologne zur Be­sinnung gebracht worden“.

„Am 29. Januar hatte ich dann einen Mordsexamen bei Leonhardi zu bestehen, doch es ging mit Gottes Hilfe alles sehr

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/168&oldid=- (Version vom 14.3.2024)