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vielfach noch weiterhin zum Romanlesen. Da er der Schule und somit auch der Schulung im Lesen früh entwachsen war, ist es verständlich, daß er seine geistige Erholung mehr in solcherlei Werken als in Dichtungen höheren Stiles suchte. Es erscheinen folgende Titel: Die Treue, eine historisch–romantische Rittergeschichte; Rinaldo Rinaldini; Von der Veldes Maltheserritter; Die Belagerung Wiens; Die Wiedereroberung von Ofen; Der Sturz der Bundesritter der eisernen Krone; Die Polin, Roman von Wangenheim; Romane Coopers; Die Venetianer, Der Ungar, beide von Herloßsohn; Christine und ihr Hof; Otto von Deppens Belagerung von Sarogossa. Bedeutender schon ist Bulwers Eugen Aram, der in der Blödeschen Familie, in der auch er viel, gar viel verkehrte, abends vorgelesen wird. Auch Ifflandsche Stücke werden mit verteilten Rollen vorgetragen. Ihm selbst wurde vom Arbeitsgenossen Kühn in Meißen aus des Eckenstehers Nante Erlebnissen vorgelesen – natürlich große Heiterkeit!

Unklar lag vor ihm die Zukunft. Was sollte werden, wenn das Volontärjahr bei der Kammer vorbei war? An Militärisches wagte er kaum mehr zu denken, so sehr regte ihn noch in Gedanken die Wirkung der kriegerischen Lektüre in Meißen auf. Als er einem älteren Kollegen sagte, daß er sich fast scheue, wieder in einem kriegerischen Roman zu lesen, lachte dieser und sagte, das zeuge von angeborenem Militärgenie, er solle nur dabei fest bleiben. Da verfiel er in seinen Phantasien wieder aufs Schanzenbauen, aufs Lagerabstecken und hörte im Geiste den Donner der feindlichen Kanonen. Noch am selbigen Abend borgte er sich bei einem seiner Freunde Bücher über das Aufschlagen militärischer Lager, mit vielen Zeichnungen und Plänen ausgestattet, die ihn mächtig interessierten. Mit einer wahren Wut, wie er selbst schreibt, suchte er in den nächst­folgenden Zeiten alle alten Schwarten auf, in denen Befestigungskunde oder ähnliches enthalten war, vertiefte sich in die Zeich­nungen dazu, kurz, strebte danach, später doch noch einmal als Ingenieur zum Militär zu kommen.

Auch jetzt gab es noch allerhand Vermessungsfahrten, die als Unterbrechung der Zeichenarbeit im Bureau freudig unter­nommen

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/157&oldid=- (Version vom 13.3.2024)