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eine „grauenhafte“ Beleuchtung durch eine ihren Fenstern gegen­über hängende Gassenlampe. Allmählich gewöhnten sie sich an das Quartier und fanden Gefallen an dem Verkehre im Gasthof, in dem hübsche junge Haustöchter in ehrbarer Weise die Be­dienerinnen abgaben. Es gab auch ab und zu stärkeres Leben. Schiffer, die mit ihren Kähnen von Schandau angelangt waren, blieben zu Nacht; einmal lagen in einem großen Raume auch an 20 Fuhrleute auf der Streu. Ja, das politische Leben Europas zitterte bis in diesen Gasthof einer sächsischen Mittelstadt hinein. Eines Tages nahmen – gewiß flüchtige – polnische Offiziere dort Quartier. Sie versuchten, sich, so gut es ging, mit den übrigen Gästen zu verständigen, und sprachen viel von der Schlacht bei Grochow (25. Febr. 1831), an der sie beteiligt gewesen waren. Kein Wunder, daß der junge Mann, wenn er abends auf dem Zimmer saß, sich und seinem Stubengenossen Polenlieder vorsang. Sehr stark belebt wurde der Gasthof wohl auch durch die An­wesenheit von Leipziger Studenten, die, aus Meißen oder Dres­den stammend, dort ihre Ferientage verbrachten und so recht nach Studentenart stundenlang, am Tage und in die Nacht hinein, im Wirtszimmer auflagen und gelegentlich ein scharfes Zechen vorschlugen und durchführten. Die Trinklieder und Trinksitten – besser gesagt Trinkunsitten – imponierten dem jungen Meßpraktikanten ganz gewaltig.

Die Wochentage aber galt es, die Aufgabe zu lösen, derent­wegen sie nach Meißen geschickt waren: die Vermessung des Gebietes nahe dem Kreuzkloster. Häufig wurde es begangen, die Grenze durch Einheimische möglichst festgestellt, mit Hilfe von Trägern die Geräte, die Signalstangen aufgestellt und der Meß­tisch benutzt. Es verlief – vielleicht interessiert es Techniker unsrer Tage, kennen zu lernen, wie es damals gemacht wurde – etwa so: „Donnerstag den 22. März setzten wir uns auf einem Eckpunkte der Standlinie mit dem Tische auf, richteten das Diopter auf die anderen zwei Punkte der Standlinie ein und trugen dieselbe nun aufs Papier, dann visierten wir die 8 Signale und noch mehrere Feueressen und Bäume, die sich auszeichneten. Dann wurde auf dem anderen Eckpunkte der Standlinie der Tisch aufgestellt, in die Linie eingerichtet und alles geschnitten

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/149&oldid=- (Version vom 13.3.2024)