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zwischen Blumen hielten sich Braut und Bräutigam umfangen. Dann trat Schubert vor an das Fenster, die Thränen rannen ihm über die Wangen. Darauf begaben sich beide zurück ins Zimmer, setzten sich auf den Divan. Die Musik spielte den Galopp aus dem Tell – Pauken und Trompeten erschollen; zuletzt zerstoben Schüler und Volk in die Gassen.“

Wie interessierte es den jungen Menschen, als ihm bald darauf sein Vater die fast abenteuerliche Jugendgeschichte Schuberts erzählte. Er war der Sohn eines armen Bergmanns im Erz­gebirge gewesen und hatte im Winter Rußbutten gemacht. Im Sommer fuhr er sie mit seinem Bruder auf dem Schiebbock über Land. Einst zogen sie auch auf der Straße nach Leipzig zu. Plötzlich kommt ein Wagen, worin der „seelige“ Präsident Rackel mit seiner Frau saß. Schubert, der gerade den Schiebbock ge­zogen hatte, war recht müde, überließ ihn seinem älteren Bruder und setzte sich hinten auf den Wagen. Als der Wagen vor einem Gasthofe in Leipzig hält, springt er hinten wieder herunter und will fort. Rackel, der ihn aber von innen heraus bemerkt hatte, fragte ihn, ob er nicht mit hereinkommen wolle. Schubert folgte der Einladung und wurde nach längerer Unterhaltung von Rackel aufgefordert, am andern Tag in das neue Quartier zu kommen.

Als er sich zur bestimmten Zeit einstellt, fragt ihn Rackel, ob er bei ihm bleiben wolle; jener nimmt es mit freundlicher Miene an. Rackel macht ihn nun zu seinem Haussekretär und läßt ihm zugleich Unterricht im Rechnen, Schreiben, Lateinisch, Französisch usw. geben. Gleich im Anfange hatte er schon große Liebe zur Mathematik gezeigt. Als er nun Stunden in Algebra und Geometrie erhielt, so bekam er immer mehr Lust und arbeitete mit rastloser Tätigkeit und unermüdetem Fleiße fort. Präsident Rackel zog dann nach Dresden, und Schubert blieb auch hier bei ihm. Als er nun so weit war, daß er sich von Stundengeben erhalten konnte, zog er allein für sich. Nach und nach be­kam er viele Stunden und zuletzt auch eine Anstellung an der tech­nischen Anstalt. Allmählich erhielt er neue Lehraufträge und war bald zu Ansehen und guter Lebenslage gekommen. Gute Anlagen, aus­gezeichnetes Streben und die Menschenfreundlichkeit eines klugen Kopfes haben hier eine überraschend glückliche Laufbahn ermöglicht.

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/144&oldid=- (Version vom 9.3.2024)