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Kein Wunder, daß man in Dresden bei der Nachricht über heftige Unruhen in Leipzig eine gewisse Schadenfreude empfand.

Dem jüngeren Bruder ist lebhafte Teilnahme an politischen Vorgängen lange geblieben. Es zeigt sich, wie so oft in jüngeren Jahren, ein überschäumender, freiheitliebender Sinn und ein ge­wisser Groll gegen die Feinde freier Entwicklung. Oft kommt er in seinen Gesprächen mit den Leuten, bei denen er auf seinen beruflichen Reisen über Land zusammentrifft, auf politische Dinge zu sprechen, auf die eigenen Erlebnisse während der Revolutionsjahre in Dresden 1830 und 31 oder auf die zu erhoffende Preßfreiheit. Als er hört, daß Prinz Johann in der Kammer von Bedienten gesprochen und damit Staatsdiener gemeint habe, schreibt er wütend in sein Buch: Schande über den Kerl! Da sein eigner Vater in den für Sachsen schmerzlichen Jahren 1813 bis 1815 Staatsbeamter gewesen war, ist es erklärlich, daß noch in den dreißiger Jahren ein Preußen wenig günstiger Sinn im Hause herrschte. Daraus erklären sich die etwas kleinlichen Ein­tragungen im Anfange des Jahres 1834, als der deutsche Zoll­verein unter Preußens Führung ins Leben getreten war. In der Nacht zum 1. Januar war ein heftiger Wind gewesen; daran heftete sich das boshafte Wort: „man sagt, daß der gestrige heftige Sturm davon herrühre, weil dem preußischen Zollverbande die Grenze eröffnet worden wäre und nun der ganze preußische Wind auf einmal herübergekommen wäre“. Oder: als man in Tauchwitz bei Eröffnung der preußischen Grenze den Adler in Prozession wegnehmen wollte, fehlte er, und statt seiner hing ein Zettel da, worauf stand: den Adler hat der Geier geholt; wollte Gott, daß er Euch alle holte!

Als der Sommer 1831 so ziemlich vergangen war, kam nun die Zeit, da die Konstitution abgeschlossen war und dem Volke verliehen werden sollte. Von den erhabenen Gefühlen, die vielleicht schon damals, sicher, als die Verfassung etliche Jahre bereits gewirkt hatte, die Dresdner beim Konstitutionsfest er­füllt hat, war bei Julius nicht viel die Rede. Als er die Schmückung des Rathauses sah: Beile und Spieße über den aufgerichteten Innungsfahnen, so sagte er sich mit seinen Freunden wohl: „Als wie: muckst ihr euch unten, so drücken wir euch

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/123&oldid=- (Version vom 9.3.2024)