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viel junge Leute, selbst Knaben verletzt worden waren. Ver­wundete wurden nach dem Klinikum, d. h. dem Kurländer Palais gebracht und bald wieder verbunden herausgeführt. Noch lange erzählten die Brüder, die mehr als der Vater gesehen, von den zerschlagenen Laternen auf der Wilsdruffer Gasse und nach der Annenstraße zu, von den Barrikaden aus Brettern und Steinen, die die Infanterie mit Sturm genommen hatte. Am greulichsten hatte es auf dem Postplatz ausgesehen, wo eine frühere Tierbude und die Bude eines Schweizers, der Automaten gezeigt hatte, wirr durcheinander lagen.

Auch am 19. April waren die jungen Menschen noch stark beschäftigt mit dem Geschehenen: sie durchwanderten die Loch- oder Badergasse, um das vergossene Menschenblut zu sehen. Mitten in der Herodotstunde wurde dem Konrektor ein Brief von einem hohen Staatsbeamten gebracht, aus dem er eine Stelle vorlas, daß die Regierung alles tun würde, wenn die Bürger auch ihrerseits ihre Obliegenheiten erfüllten. Der Brief war vermutlich vom Kanzler v. Könneritz. Magister Sillig aber erklärte gleich zum Anfang der Stunde, daß vielleicht eine Störung durch Sturmläuten kommen könnte, dann möchte jeder eilen, vor dem 14. Schlage zu Hause zu sein. Sofort fangen die Primaner an zu lachen, worüber er sich ärgert. Um 3 Uhr wurden nun alle entlassen, doch von demselben Magister dringend gebeten, nach Hause zu gehen. Wer über den Markt zu gehen hätte, sollte lieber die Nebengassen benutzen. „Jedoch wer das nicht that, waren die, zu deren tauben Ohren er es predigte!“

Es war auch gar zu interessant geworden: an den Haus­mauern klebten die beruhigenden Anschlagzettel der Regierung, des Gouverneurs, des Rates. Es waren aus Freiberg und Meißen Truppen gekommen, die zum Teil auf den Straßen und den Plätzen lagerten. Viel Stroh war für die Pferde und die neben ihnen liegende Mannschaft gegeben; Sofa, Tische und Stühle und ein Faß Bier dazu standen für die Offiziere vor einem Hause des Neumarkts bereit. Die Offiziere tranken und aßen, die Gemeinen hatten Holzböcke, worauf Bretter gelegt waren, zu Sitzen. Die Wachen und die „Schläge“ waren doppelt besetzt, Streifpatrouillen durchzogen die Stadt. Die Kommunalgarde

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/121&oldid=- (Version vom 9.3.2024)