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noch länger geblieben, wie gern hätte ihn die Tante und Madame Lamarc noch festgehalten, aber, wie er schreibt, „die Pflicht rief mich hinweg“; er fuhr in des Onkels „Holsteiner“ bis nach Wilschdorf, dann lief er über den Weißen Hirsch und die Saloppe zurück nach der Heimatstadt!

Und nun zu den Freuden, die der Winter damals einem Primanerherzen bot. Der Vater nahm ihm eine Tanzkarte für die Harmoniegesellschaft. Aufs feinste herausgeputzt, im Knopf­loch ein zierlich geschnittenes Röschen, von einer kunstgeübten, gemütlichen Familientante gespendet, eilt er hin. Nun tanzt er mit den Schwestern des Freundes, denen er, wenn sie abends spannen, gar manchesmal vorgelesen hatte. Er bewunderte die jungen Polen, die sich damals in Dresden aufhielten, wie sie die Mazurka so ganz einzig tanzten. Wohl machten diese selbst ihre Randglossen über das Mazurkatanzen der jungen Deutschen, konnten dafür aber die deutschen Tänze, namentlich Walzer, nicht sonderlich gut tanzen.

Einen Glanzpunkt im Winter bildete der Ball bei einer aus Polen stammenden, vielleicht jetzt geflüchteten Gräfin Flemming. Madame Klengel, bei der damals die Jugend besserer Kreise in die Tanzstunde ging, hatte den Auftrag, Tanzbeine für einen Flemmingschen Hausball zu besorgen. Er und seine Freunde werden mit dazu auserwählt. Es war ein stolzer Abend für das junge Volk. Gustav Blöde, der einst 1849 wegen Be­teiligung an der Revolution nach Amerika flüchten sollte und dort zuletzt Redakteur einer großen Zeitung wurde, wollte der Gräfin Flemming die Hand küssen; sie litt es nicht. Er er­öffnete den Ball mit einer jungen Gräfin Henckel von Donners­mark; der Tagebuchschreiber führte eine reizende junge Polin. Erst lagerte feierliche Stille über allen, während deren er die Blumenausschmückung des Zimmers, die angeschraubten Topf­gewächse, die nach Art eines Himmelsgewölbes bemalte Decke und die auf einem Diwan thronende Gräfin Flemming betrachtete.

Seltsamerweise war ein sehr mangelhafter Spieler genommen, der sein schlechtes Spiel, ganz ohne Takt, damit entschuldigte, daß die Noten so teuer seien. Als man ihn nach neuen geschickt hatte, kam er nicht wieder, und so spielten junge Leute aus der

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/108&oldid=- (Version vom 8.3.2024)