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oder Bülow, voll triumphirenden Selbstgefühls stolz auf seine Großthaten herabblickend. Wie wichtig und bedeutungsvoll prangt ihm noch jedes selbstgeschriebene Wort gedruckt entgegen. Wehe daher Demjenigen, der mit ihm über eine Sache gleicher Meinung; natürlich hat jener diese Meinung von ihm gestohlen – im graden Gegensatze zum gereifteren Fachmann, welcher solche Übereinstimmungen mit Freuden begrüßt. Solche selbstgefällige Eitelkeit wuchert oft in lustiger Ueppigkeit in der Fachpresse, sie verräth sich am Meisten durch die kindlich lästige Wichtigkeit, mit der handwerksmäßige Verstöße, überhaupt Unwesentlichkeiten breit getreten worden, besonders, sobald nur irgend das liebe Ich dabei im Spiel. Hier glauben ferner manche Herausgeber oder Mitarbeiter allen persönlichen Haß, alle kleinlichen Vorurtheile, Bosheiten und hämischen Witze, die gar Nichts mit der großen Sache der Kunst gemein haben, ungestraft ablagern zu dürfen, unbekümmert darum, wie tief sie dadurch sich und die Fachpresse herabwürdigen. Was nicht in ihren Kram paßt, sei es eine Richtung oder eine Person, wird rücksichtslos verkleinert, mit Schmutz beworfen oder todtgeschwiegen. Grade Kunstblätter haben aber doch gewiß in erster Reihe die Pflicht, das Ideal, dem sie dienen oder zu dienen vorgeben, hoch und rein zu halten von verächtlichen Motiven, sowie lediglich gegen wirklich kunstschädliche Speculationen vorzugehen, aber auch hier ebenfalls nur in einem der Sache würdigen Tone! Wie dann aber, wenn der Mitarbeiter überhaupt kein Ideal will, sondern nur sich selbst, wenn ihm Ideal und Idealisten im Wege sind und Begeisterungen für eine bedeutende Erscheinung für ihn Modesachen, die mitgemacht werden müssen, wenn der junge Kritiker vor Nichts Achtung hat als vor dem baaren Erfolge? Wird man dann nicht noch immer an das Göthe’sche Wort erinnert: daß man das literarische Gebiet betreten müsse, um die Unredlichkeit der Deutschen in ihrer ganzen Größe kennen zu lernen! Vielleicht giebt diese durch immer neue bedauerliche Verirrungen hervorgerufene Excursion dem Leser manchen Aufschluß über unerklärlich leidenschaftliche Erscheinungen und veranlaßt ihn fortan, ihre Lauterheit und Glaubwürdigkeit erst etwas genauer zu prüfen. –

      Pierson’s Ouverture zu „Romeo und Julie“ zeigt dieselben zum Theil in der Eigenthümlichkeit seines etwas unsteten englischen Naturells begründeten Licht- und Schattenseiten des ächt fortschrittlichen Komponisten der früher in d. Bl. besprochenen Faustmusik. Fesselnde, geistvolle und tief gemüthvolle Charakterisirung der Situationen, Empfindungen und Konflikte des herrlichen Shakespeare’schen Dramas; nur nicht immer symmetrisch abgerundet genug ausgesprochen oder klar und entschieden genug herausgearbeitet, um überall zu vollster Wirkung zu gelangen. Andrerseits fesseln oft in hohem Grade geistvolle Benutzung der einzelnen Instrumente und deren Farbenmischung. Auch zeichnet sich das Werk vor dem Tarnowski’schen durch stylvollere Anordnung aus. Pierson beginnt mit folgendem Poco allegro appasionato:

An dasselbe schliesst sich ein allmählich bis zu dem Gipfel

sich steigernder Festesjubel voll südlich, ausgelassener Lebenslust. Plötzlich stockt er, Romeo’s erste Begegnung mit Julie tritt an seine Stelle, düstre Züge wechseln mit seelenvollen und sehnsüchtigen. Allmählich bricht sich der Jubel des Festes wieder Bahn, diesmal noch rauschender, glänzender, in breiterer Sextolenbewegung. Wiederum schneller Wechsel; Hangen und Bangen in schwebender Pein, welches sich in jenes schon das erste Mal, nur schüchterner aufgetauchte, süße Zwiegespräch auflöst:

jedenfalls die schönste Stelle des ganzen Werkes, nur leider hier wie auch die folgenden Male fast gar nicht weiter ausgeführt! Sie geht in den an Grabesluft mahnenden Anfang der Ouverture über. Letzterer erhebt sich bedeutender, Posaunen greifen ein, und allmählig gelangt eine immer versöhnender sich durchringende elegische Stimmung zur Herrschaft, wobei die Bässe ausdrucksvoll mitsprechen. Noch ein Anklang an jene süßen Liebesseufzer, und beseligend süß schmerzliches Aushauchen der von Sehnsucht erfüllten Seelen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Neue Zeitschrift für Musik - Notizen und Artikel über Werke von Ladislas Tarnowski 1870-1878. C. F. Kahnt, Leipzig 1870-1878, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neue_Zeitschrift_f%C3%BCr_Musik_-_Notizen_und_Artikel_%C3%BCber_Werke_von_Ladislas_Tarnowski_1870-1878.pdf/25&oldid=- (Version vom 20.8.2021)