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Am Neumonde.

„Lehre uns unsre Tage zählen,
Daß wir weisen Herzens werden.”
 (Ps. 90. 12.)

Herr des Lebens, der du ordnest der Zeiten Lauf und Gang, du hast sie eingetheilt in kleine und große Abschnitte, in Jahre, Monate und Tage. Durch den Wechsel dieser Perioden werden wir inne, wie im raschen Flug die Zeit unaufhaltsam dahinrauscht, und uns mit jedem Flügelschlage dem Endziele alles irdischen Seins, der Ewigkeit näher bringt, und wie sie, die flüchtige Zeit, ist sie einmal dahingezogen, niemals wieder zurückkehrt, und all unser Wünschen und Sehnen nach ihrer Wiederkehr ein vergebliches ist. Drum sollen wir sie nützen, so lange sie unser ist, keinen Punkt von ihr vergeuden, keine Stunde verlieren in müßigem Tändeln und Träumen, in eitlem, unnützem Thun und Treiben; denn einst wirst du uns, o Herr, für jeden Augenblick unseres Lebens zur Rechenschaft ziehen! – Wir müssen die That vollbringen, so lange die Zeit sie uns darbeut, wenn wir erst viel bedenken und zögern, so führt sie uns der Zeitenstrom davon, und uns bleibt nur das leere Nachsehen und Bedauern. Aber was wir beginnen und unternehmen, wonach wir streben und ringen, sei ein Heiliges und Gottgeweihtes, entsprechend unsrer hohen Bestimmung auf Erden, würdig unsrer göttlichen Abstammung.

Drum flehe ich dich an, Allvater, um Einsicht und Erkenntniß, die Zeit so zu verwenden, daß sie mir und den Meinigen und meinen Nebenmenschen zum Heil und zum Segen gereiche, daß ich jede Stunde, jeden Augenblick meines Lebens benutze zu weiser Thätigkeit und Betriebsamkeit, zu fruchtbringenden Wirken und Schaffen, zur Veredlung meines Herzens, zur Vorbereitung und Bildung meiner Seele für die Ewigkeit. Laß, Allgütiger, der du bisher mich geleitet und geschirmt, auch ferner mir und meinen Angehörigen deinen gnädigen Schutz angedeihen; laß den Monat, der da kommt, fried- und freudevoll für mich sein, wahre unsere Gesundheit und unser Leben, mildre und sänftige unsern Kummer, erhöhe unsere Lebenslust, segne unser Gewerbe und unsern Fleiß, und laß aus der Fülle deiner Gnade uns zuströmen, was uns Noth thut und wohl thut.

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)