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Lorenz Christoph Mizler (1711–1778): Mizler Musikalische Bibliothek Bd4 1754

gar nicht. Ich glaube vielmehr, daß derienige, so bey einem zur Composition geschickten Kopf sich bey Zeiten zu üben anfängt, groser Meister Beyspiele nachahmet, viele Partituren durchsiehet, und s. f. viel eher in der Composition was vor sich bringet, als der, so sich nur einzig und allein mit den Regeln martert. Ich behaupte nur, daß beydes zugleich seyn müsse, wenn das statt finden soll, was Cicero in der Rede für den Archias im 8. K. gesagt: Wenn ein vortreflicher und erhabener Kopf nach den Regeln unterwiesen wird; alsdenn pfleget, ich weiß nicht was herrliches und ganz besonderes zu entstehen.[1] Sie sehen also, mein Herr, daß die Regeln in der Music, oder vielmehr die Theorie derselben keinesweges zu verachten, sondern unumgänglich nothwendig sey. Sie schärfen den Verstand eines musikalischen Lehrlings, und machen ihn tüchtig das schöne in anderer Compositionen zu erkennen, solches zu beurtheilen, Anmerkungen darüber zu machen, und in seinen Nuzen zu verwenden. Man lernet dadurch der Ordnung gemäß, die als eine trefliche Lehrmeisterin in allen Wissenschafften viel Zeit ersparet, und folglich mit gutem Fortgang sich üben. Ich sehe schon daß sie völlig überzeugt sind, und andere von dem, was ich hier behaupte, nun überführen können, und daß Sie kein aufgeblasener Criticus durch windige Grunde mehr wanckend ober zweiflend machen kan. Kehren sie sich nicht an die übereilte Thorheit eines seichtgelehrten Capelmeisters, der deswegen die Mathematik in der Musik für unnnöthig ia unnützlich hält, weil er selbsten unwissend darin ist, doch aber aus einer dummen Einbildung glaubt, daß er der größte Vituose sey, da er kaum noch ein Schüler der gereinigten Composition ist, und aus thörigter Eigenliebe selbsten also lächerlich schliesset: Du bist ia nach deiner Freunde Ausspruch ein groser Capellmeister und Criticus, und verstehest doch von der ganzen Mathematik nichts, wie soll es also doch möglich seyn können, daß solche einen so grossen Nutzen hat, oder nothwendig sey:

  1. Cic. pro Archia c. 8. [C]um ad naturam eximiam atque inlustrem accesserit ratio quædam conformatioque doctrinæ; tum illud nescio quid praeclarum ac singulare solere ex[s]istere.
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Lorenz Christoph Mizler (1711–1778): Mizler Musikalische Bibliothek Bd4 1754. Mizlerischer Bücher-Verlag, Leipzig 1754, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mizler_Musikalische_Bibliothek_Bd4_1754.pdf/182&oldid=- (Version vom 1.2.2024)