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Lorenz Christoph Mizler (1711–1778): Mizler Musikalische Bibliothek Bd4 1754

Symmetrie? macht solche nicht einen großen Theil der Geometrie aus? und fliesen nicht die übrigen Schönheiten aus solcher her? Wie werden sich unsere Nachkommen nicht wundern, daß zu unsern Zeiten Leute gewesen, die wider den Nutzen der Mathematik in der Musik schreiben wollen[.] Man leugnet deswegen nicht, daß die Musik ohne Regeln erfunden worden, und daß man alsdenn erst Regeln gemacht, da man schon zuvor componirt gehabt, indem es mit allen Wissenschafften durchgehends so gegangen, daß man erst hernach Regeln gegeben, wenn man die Sache schon vorhero gewust, und daß man nach der Erfahrung und langer Ausübung die systematische Lehrart eingeführt. Allein es ist auch unleugbar, daß die Wissenschafften, nachdem sie einmal in ein System gebracht worden, ungleich geschwinder gewachsen und neue Wahrheiten heraus gebracht worden, die man durch die blose Uebung vergebens würde gesucht haben. Wenn man auch gleich bey dem Anfang einer Wissenschafft aus den damaligen besten Beyspielen Regeln herausgezogen, so haben doch diese Regeln so vielen Nutzen und die Wissenschafft davon, so vielen Wachsthum gehabt, daß man nach der Zeit die damaligen besten Beyspiele sammt den ersten Regeln verbessern können. So ist es mit der BuchstabenRechenkunst, der Naturlehre, der Astronomie ec. gegangen, und wir haben in unsern Zeiten bey der Electricität ein noch ganz warmes Beyspiel. Sie sehen, mein Herr, daß diese unter den blinden Leitern oben an stehen, die ihren Schülern die Theorie der Musik zu lernen abrathen, und den Nutzen der Mathematik in der Musik deswegen verachten, weil sie selber nichts davon verstehen und gelernet haben. Begehen Sie ia dergleichen Sünde nicht, daß Sie iunge und angehende Componisten vom lernen abschrecken, sonderlich was die Mathematik und Weltweißheit betrifft, ohne welche Grundstützen, alle übrigen Wissenschaften, auch die musikalische Gelehrsamkeit, auf lockern Sand gebauet werden. Ich will damit nicht sagen, daß man beständig nur an den Regeln hangen, die Uebung aber so lange bey Seite setzen müsse, biß man solche an den Fingern herzählen könne. Das ist meine Meinung

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Lorenz Christoph Mizler (1711–1778): Mizler Musikalische Bibliothek Bd4 1754. Mizlerischer Bücher-Verlag, Leipzig 1754, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mizler_Musikalische_Bibliothek_Bd4_1754.pdf/181&oldid=- (Version vom 13.1.2024)