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ans classische Alterthum anknüpfende Tradition mag die Herstellung solcher Werke als möglich erklärt haben. Andere mögen von Byzantinern und Arabern geübt worden sein, waren aber wol unserm Kieser auch nur von Hörensagen bekannt. Ob das Buch vom Verfasser eigenhändig geschrieben, ob von ihm selbst gezeichnet ist, muß ebenfalls unentschieden bleiben. Schon bei ihm sind die Zeichnungen von verschiedenem Werth; schon bei ihm sind die linearen Zeichnungen geringwerthig, während der größere Theil der figürlichen Bilder zu dem Hervorragendsten gehört, was die Miniaturmalerei um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts geschaffen. Insbesondere sind die Planetenbilder von höchstem Werthe. Die technischen Handzeichnungen sind dagegen theilweise nur ganz flüchtig, theilweise selbst roh colorirt. Es ist charakteristisch für die Serie dieser Handschriften, daß der artilleristische Theil im Beginne des 15. Jahrhunderts noch keine sehr große Rolle spielte, mindestens in den Abbildungen, wenn schon auch eine eingehende Abhandlung über Pulver und allerlei Feuerwerke dem Kieser’schen Buche einverleibt ist.

Die Göttinger Bibliothek besitzt noch eine deutsche Bearbeitung desselben Gegenstandes, die etwa 10–20 Jahre jünger sein mag und, auf Papier gezeichnet, ebenfalls eine Reihe interessanter Abbildungen gibt. Ein dem Buche Kieser’s ähnliches Werk ist das 1437 von Hans Hartlieb in Wien verfaßte, das sich in der dortigen k. k. Hof- und Staatsbibliothek befindet und die Bezeichnung Hs. 3062 trägt.[1] Ihm folgen mehrere andere, die, weil die Artillerie immer mehr an Bedeutung gewann, theilweise dieser ausschließlich gewidmet sind. Auch gedruckte Holzschnittbücher schließen sich hier an; wie die verschiedenen Ausgaben des Vegez[2], welche freilich gerade das brachten, an dessen wirkliche Ausführung man am wenigsten dachte, und das man gewiß auch nach diesen Holzschnitten nicht hätte construiren können, so die Windwagen, die unterseeischen Boote u. a., aus dem aber doch hervorgeht, daß mindestens die Erinnerung an alte Traditionen noch lebendig blieb, auch nachdem die Praxis sich auf engere Gebiete beschränkt hatte. Als letztes hierher gehöriges Werk dürfen wir das Kriegsbuch des Ludwig von Eyb aus der Bibliothek zu Erlangen betrachten.[3]

Zwar gehen noch durch das ganze 16. und 17. Jahrhundert in den Schriften der Büchsenmeister Erinnerungen an alte Traditionen fort; aber es erscheinen außer auf artilleristischem Gebiete keine neuen Gedanken mehr. Die Büchsenmeister hatten beim damaligen Standpunkte der Artillerie hinreichend mit ihren nächstliegenden Aufgaben zu thun. Wir begegnen einzelnen mechanischen Kunststücken bei den Baumeistern, die Bergleute hatten sich andere bewahrt, gelehrte Leute, welche sich die Beobachtung der Natur zur Aufgabe gestellt, versuchten manches theoretisch zu begründen, und die verschiedensten Handwerker, Rothschmiede, Zirkelschmiede, Schlosser, Uhrmacher u. a. wußten allerlei mechanische Kunststücke zu fertigen, bis endlich gegen den Schluß des vorigen Jahrhunderts im Interesse der praktischen Thätigkeit die technischen Wissenschaften sich so zu entwickeln begannen, daß alles bedeutungslos wurde, was nicht auf ernster, theoretischer Grundlage aufgebaut war. Aber auch den heutigen Techniker muß es noch interessiren, zu sehen, wie vieles schon den Vorfahren als Ahnung

  1. *) Streffleur’s „Oesterreichische militärische Zeitschrift.“ 1878. Octoberheft, S. 156ff.
  2. WS: Flavius Vegetius Renatus
  3. **) S. Irmischer’s „Handschriften-Katalog“, S. 262, Nr. 1390: Ludwig von Eybe zum Hartenstein, „Kriegsbuch“; Pag. gr. Fol. 322 Blätter, vom J. 1485 (1515) mit sehr vielen gemalten Handzeichnungen von Kriegsmaschinen. Vergl. auch: Wilh. Vogel, „Des Ritters Ludwig von Eyb des Aelteren Aufzeichnung über das kais. Landgericht des Burggrafthums Nürnberg“, 1. Abtheil. (1867), S. 36, Anmerk. 15, wo die Datirung berichtigend als das Jahr 1500 angegeben wird.
Empfohlene Zitierweise:
August Essenwein: Vorwort zu Mittelalterliches Hausbuch. Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1887, Seite X. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mittelalterliches_Hausbuch_1887_0010.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)