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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

Tom Brown hielt ihre kleine Hand noch immer zwischen seinen braunen Fingern.

Wie versteinert saß er da und starrte in die züngelnden Flammen, die sich so mühsam an den harten Dornenzweigen weiterfraßen. Noch immer hatte er ja in einen stillen Winkelchen seines Herzens die leise, leise Hoffnung genährt, Alice Wellerslow doch noch für sich zu erobern. Jetzt allerdings sah er ein, daß es für ihn nichts, nichts mehr zu hoffen gab.

Jäh erhob er sich, schritt zu den Pferden hin und machte sich an dem Zaumzeug seines Rappen etwas zu schaffen. Als er dann nach einer Weile zum Feuer zurückkehrte, lag um seinen bartlosen Mund nicht mehr jener schmerzliche Zug, der den fast zu energischen, beinahe harten Ausdruck seines Gesichts vorhin so angenehm gemildert hatte.

Schweigend setzte er sich nieder und prüfte mit der Spitze seines Jagdmessers das leise über der Glut zischende und brodelnde Lendenstück. Auf den großen, tellerartig gebogenen Blättern einer Kakteenart bot er Alice dann das saftigste Stück an, dazu als Trunk die letzten Schlucke des schweren Kaffees aus seiner Feldflasche.

Sie aß nur wenige Bissen. Auch ihm selbst mundete das ungesalzene Fleisch nicht sonderlich. Das meiste davon erhielten daher die Hunde, die auch alles heißhungrig hinunterschlangen.

Tom Brown sah nach der Uhr.

„Ich werde noch auf Kundschaft ausreiten,“ meinet er einfach. „In vier Stunden, gegen zwei Uhr morgens, kann ich zurück sein. Nehmen Sie meinen Mantel als Decke und versuchen Sie zu schlafen, Miß Wellerslow. Die Hunde werden Sie genügend bewachen. Außerdem – wenn Sie das Feuer ausgehen lassen, wird kein Feind Sie hier finden.“

Miß Unverzagt widersprach nicht, trotzdem sie nicht wußte, was er eigentlich vorhatte. Er würde sich von seinem Vorhaben ja doch nicht abbringen lassen.

Bald darauf ritt er mit kurzem Abschiedswort davon, nachdem er ihr seinen langen grauen Mantel, der hinten auf dem Sattel seines Pferdes festgeschnallt gewesen war, an einer geschützten Stelle ausgebreitet hatte.

Immer tiefer brannte das kleine Feuer herab, bis nur noch hin und wieder ein Zweiglein für kurze Zeit auflohte.

Lange starrte Alice mit offenen Augen zu dem klaren, gestirnten Nachthimmel empor. Aber schließlich siegte doch die Müdigkeit, die ihr nach all den Strapazen und Aufregungen des Tages wie Blei in den Gliedern lag. Sie schlief ein.

Stunden vergingen. Da fuhr sie mit einem Male empor. Es hatte jemand leise ihre Schulter berührt.

Im Dämmerlichte des inzwischen aufgegangenen Vollmondes stand Tom Brown vor ihr, die Büchse in der Rechten.

„Stehen Sie auf, Miß Wellerslow. Ich glaube eine Möglichkeit entdeckt zu haben, wie wir doch noch nach Wohambahe hineingelangen können.“

Und als sie sich jetzt völlig ermuntert hatte und schnell aufgesprungen war, fuhr er fort:

„Die Herero haben ihr Lager in der Lichtung des großen Dornenfeldes aufgeschlagen, das sich meilenweit nördlich von der Station hinzieht. Dort sind in schnell errichteten Hütten ihre Weiber und Kinder untergebracht, während der größte Teil der Krieger in enger Postenkette die kleine Feste umzingelt hält. Noch zwei Stunden, dann wird sich der Morgenwind, der hier stets von Norden nach Süden weht, erheben. Er soll den Hauptanteil an dem Gelingen meines Planes tragen. Seit Wochen ist kein Tropfen Regen gefallen. Das Steppengras ist dürr wie Zunder, nicht minder dürr die Dornensträucher. Wenn wir nun das eben erwähnte Dornenfeld an seiner Nordgrenze möglichst gleichzeitig an verschiedenen Stellen anzünden, so wird der Wind die Flammen mit unheimlicher Geschwindigkeit gegen das Hererolager vorwärts tragen. Und die dann zweifellos entstehende Verwirrung müssen wir zum Durchschlüpfen benutzen. Ich rechne eben bestimmt damit, daß die Hereroposten in der Angst um ihre Weiber und Kinder und ihr bißchen Hab und Gut zunächst völlig den Kopf verlieren und nur daran denken werden, die Ihrigen in Sicherheit zu bringen. Jedenfalls müssen wir noch vor Tagesgrauen dort im Norden unsere Vorbereitungen beendet haben. Uns steht daher noch ein sehr scharfer Ritt bevor.“

Willenlos ließ Alice sich vorwärtstreiben. Aber ihre Gedanken waren nicht bei der Sache, als sie jetzt ihrem Schimmel den Sattel auflegte.

Vielleicht konnte sie, wenn der Morgen graute, bereits innerhalb der schützenden Mauern von Wohambahe sein – bei ihm, dachte sie freudig klopfenden Herzens. Und diese beseligende Hoffnung stimmte sie jetzt unendlich weich. Nur zu gern hätte sie noch schnell ein paar recht liebe, warme Worte an den gerichtet, der auch jetzt wieder in seltener Selbstverleugnung für ihr Bestes gesorgt hatte, während sie in tiefem Schlaf, eingehüllt in seinem Mantel, von einer sonnigen Zukunft an der Seite des anderen geträumt hatte. Doch – würde sie nicht durch ihre erneuten Versicherungen ihrer Freundschaft und steten Dankbarkeit in dem Herzen dessen, der etwas so ganz anderes, etwas, das sie ihm nicht geben konnte, von ihr verlangte, nur unnötig das traurige Bewußtsein abermals wecken, daß er sie für immer verloren hatte?

Daher schwieg sie. Und dann ritten sie in die vom Mondlicht mit Silberglanz überflutete Landschaft hinaus, dicht nebeneinander, und hinter den bald in Galopp fallenden Pferden keuchten in langen Sätzen die beiden Hunde einher.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.43). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)