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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

„Und das zweite Mal,“ fuhr er mit selbstquälerischem Behangen fort, „das war jener Sonntag vor Weihnachten! Was habe ich da alles zu hören bekommen, als Sie ganz verstört in demselben kleinen Talkessel erschienen, wo wir uns schon vor vierzehn Tagen begegnet waren. Nichts als Vorwürfe! Ich hätte Sie kompromittiert durch mein häufiges Umherstreifen in der Nähe der Farm! Ihr guter Ruf würde leiden, Ihre Verwandten könnten schlecht von Ihnen denken. Und ich sollte Ihnen doch nur den einzigen Gefallen tun und sofort nach Amerika zurückkehren! Ja – wenn das nur so leicht gegangen wäre! Aber ich hatte mich ja der Schutztruppe auf ein ganzes Jahr verpflichtet, wäre als Deserteur behandelt worden, wenn ich Wohambahe verlassen haben würde! Glauben sie mir, Alice – damals nach jener Aussprache wäre ich gegangen! Denn da wurde mir klar, welch geradezu lächerliche Rolle ich hier spielte. Aber ich mußte bleiben, mußte! Und nun hat das Schicksal uns abermals zusammengeführt! Zu welchem Zweck? – Nur um mir noch deutlicher zu zeigen, daß alles umsonst gewesen ist, daß Tom Brown sich unnütz gedemütigt hat! Wir Amerikaner verstehen es eben nicht, junge Damen, in deren Adern zur Hälfte noch das schwärmerische und nach weichem, süßlichem Liebesgetändel verlangende Blut des deutschen Gretchen fließt, für uns zu gewinnen. Wir sind eben, weil wir weniger honigsüße Worte zu machen verstehen und uns die Rolle des schwärmerischen Anbeters nicht recht liegt, nichts als gemütlose – Registrierkassen, zu denen Sie mich ja auch stets gerechnet haben.“

Miß Unverzagt hatte diese leidenschaftliche Rede mit wachsendem Staunen angehört. Niemals hätte sie Tom Brown so viel Temperament zugetraut, wenn ihr auch durch sein ganzes Verhalten bereits klar geworden war, daß seine Gefühle für sie doch stärker sein mußten, als sie dies je angenommen und bei einem Manne wie ihm für möglich gehalten hatte. War er ihr doch, ohne einem Menschen etwas über seine Absichten zu verraten, sehr bald hier nach Afrika gefolgt, er, dem sie noch vor wenigen Monaten auf eine nicht mißzuverstehende Art ihre völlige Gleichgültigkeit gegen seine Person – mehr noch, ihre direkte Abneigung gezeigt hatte. Ja, er war gekommen, obwohl er wußte, wie spöttisch man ihn daheim belächeln würde, wenn diese abenteuerliche Brautfahrt in St. Louis bekannt werden sollte. Freilich – vorsichtig genug und mit echt amerikanischer Verschlagenheit hatte er sich doch den Rücken zu decken gewußt, indem er hier nicht offen als alter Bewerber um ihre Hand auftrat, sondern sich ihr nur unter dieser, für seinen Yankeestolz sicher nicht unbequemen Maske eines Freiwilligen der Schutztruppe zu nähern versuchte. Bisher ahnte ja auch niemand, wer Tom Brown eigentlich war – eben jene ‚Registrierkasse‘, von der sie hier jedem übermütig als der wahren Ursache ihrer „Deportation“ nach Südwest erzählt hatte. Daß sie in der Weise über ihn gesprochen, tat ihr jedoch längst schon aufrichtig leid. Denn – welches junge Mädchen wäre wohl durch eine derartige Selbstverleugnung, wie sie sich in Tom Browns hartnäckiger Werbung widerspiegelt, nicht zu einer anderen Beurteilung selbst des unbeliebtesten Freiers gelangt und auch bis zu einem gewissen Grade gerührt worden! Und jetzt noch dieser Ausbruch einer verhaltenen Leidenschaft, die sich so deutlich in jeder einzelnen seiner in der Erregung wahllos, aber deshalb um so ehrlicher hervorgesprudelten Worte kundgab!

Miß Unverzagts große, ausdrucksvolle Augen hatten, als sie sich das alles nochmals überlegte, einen weichen Ausdruck angenommen. Jetzt streckte sie Tom Brown bittend die Hand hin.

„Nehmen Sie doch meine Freundschaft an, Tom, die ich Ihnen schon so oft anbot. Mehr kann ich Ihnen nicht geben. Das habe ich Ihnen drüben in der Heimat schon immer gesagt. Und heute, wo ich Ihre Person so ganz anders einzuschätzen gelernt habe, bitte ich Sie auch herzlich um Verzeihung für meine damalige Ungezogenheit. Sie wissen wohl, was ich meine. Es war mehr als kindisch und unreif von mir, Ihnen bei der Wohltätigkeitsvorstellung in St. Louis in dem kleinen Lustspiel als Ihre Partnerin vor einem Publikum, dem Sie als Bewerber um meine Hand bekannt waren, meinen Unwillen über Ihre mir damals geradezu aufdringlich erscheinende Kurmacherei mit Worten auszudrücken, die in meiner Rolle nicht enthalten waren und die Sie aufs schlimmste bloßstellten. Ich bereue diese Unüberlegtheit jetzt aufrichtig. Und wenn Ihre Fahrt hier nach der deutschen Kolonie auch den von Ihnen erwarteten Erfolg nicht haben kann, so mögen Sie sich doch in dem Gedanken trösten, in jener Alice Wellerslow, die früher so schwer zum Einsehen eines Unrechts und zur Abbitte zu bewegen war, eine reuige Sünderin und eine aufrichtige Freundin wiedergefunden zu haben. Denn – daß mein Herz Ihren heißen Wünschen nicht entgegenkommt, deshalb dürfen Sie mir nicht zürnen! Liebe läßt sich nun einmal nicht erzwingen. Sie ist wie ein zartes Pflänzchen, das lange verborgen unter der Erde treibt und keimt und dann mit einem Male hervorbricht zum Sonnenlicht – dann – wenn der Rechte erscheint.“

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.42). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)