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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

Anfang Jänner 1904 brach urplötzlich, nachdem Gouverneur Leutwein eben erst im Süden eine Empörung der Bondelzwaarts niedergeworfen hatte, der Aufstand der Herero im Herzen der Kolonie Südwestafrika aus.

Die Häuptlinge der Herero hatten diese allgemeine Erhebung mit der größten Umsicht vorbereitet und jedem der schwarzen Unterführer genau seine Rolle in dem blutigen Drama zugewiesen. Nur so war es auch zu erklären, daß sich fast die sämtlichen kleineren Stationen und ebenso die strategisch wichtigsten Punkte der großen Verbindungsstraßen bereits nach wenigen Tagen in den Händen der Feinde befanden oder aber, wo eine Überrumpelung der Garnisonsorte nicht glückte, durch einen dichten Ring von Belagerern von der Außenwelt abgeschnitten waren.

In Reiwitztal ahnte man nichts von der so unmittelbar bevorstehenden Gefahr.

Alice Wellerslow hatte sich am Vormittag des 12. Jänner ihre Schimmelstute Diana satteln lassen und war, begleitet von den beiden Jagdhunden, nach Westen davongeritten, um einem Leoparden nachzuspüren, der sich in einer der letzten Nächte wieder ein wertvolles Mutterschaf aus der frisch eingeführten Merinoherde herausgeholt hatte und dessen Spuren nach den wild zerklüfteten Ausläufern des fernen Gebirgs hinwiesen.

Etwa zwei Stunden nach ihrem Aufbruch sprengte plötzlich eine zehn Mann starke Abteilung der Schutztruppe unter Führung von Leutnant Röder auf schaumbedeckten Pferden in den Hof von Reiwitztal.

Nach wenigen Minuten hatte der Offizier den entsetzten Farmer von dem drohenden Unheil verständigt. Denn nach der sicheren Meldung einer Patrouille war eine große Hereroschar, die in vergangener Nacht die nördlich gelegene Farm Markwartshöhe gestürmt, niedergebrannt und die ganze Farmerfamilie abgeschlachtet hatte, mit großem Troß von Weibern, Kindern und Vieh auf Reiwitztal in Anmarsch.

Im Fluge wurden nun die wertvollsten Sachen auf einen Wagen geladen, der dann die Station auf Umwegen zu erreichen suchen sollte, da der direkte Weg nach Wohambahe von Hereroposten bereits gesperrt war.

Auf dem Wagen saßen eng aneinandergeschmiegt Frau Reiwitz und ihre Kinder, während der Farmer und seine Leute die Büchsen in der Hand zu Pferde den traurigen Transport begleiten wollten.

Doch die mit aller Hast betriebene Abfahrt erlitt eine ganz unvorhergesehene Unterbrechung. Gerade als Heinz Röder mit seinen Leuten sich wieder in den Sattel schwang, um auch den dritten, in der Gegend ansässigen Farmer noch rechtzeitig zu warnen, erinnerte Frau Reiwitz sich plötzlich an Miß Unverzagt, an die bisher niemand in der furchtbaren Aufregung gedacht hatte.

Ratlos schaute der Leutnant vor sich hin.

„Was tun wir nur! Ich habe meine bestimmten Befehle, von denen ich nicht abweichen darf. Und teilen kann ich meine Schar ebensowenig. Das könnte bei der feindlichen Übermacht unser aller Verderben sein. Anderseits – wir dürfen doch auch die junge Dame nicht einfach ihrem Schicksal überlassen! Denn – fällt sie den Herero in die Hände, so hat sie bei den blutgierigen Teufeln auf kein Erbarmen zu rechnen.“

Da drängte einer der Soldaten sein Pferd etwas vor. Es war ein Mann mit einem dunkel gebräunten, völlig bartlosen Gesicht, aus dessen scharf geschnittenen Zügen deutlich eine mit hoher Intelligenz gepaarte Energie sprach.

Tom Brown, wie er sich nannte, war vor ungefähr zwei Monaten gut beritten und bewaffnet auf der Station Wohambahe erschienen und hatte den Kommandanten von Otting um Aufnahme in die Schutztruppe als Freiwilliger gebeten. Er gab an, er sei geborener Amerikaner und nach Südwest gekommen, um später, wenn er Land und Leute erst besser kenne, eine kleine Farm zu erwerben. Da seine Papiere in Ordnung waren, außerdem ein derartiges Gesuch von zukünftigen Ansiedlern gar nicht selten gestellt wurde, reihte der Oberleutnant ihn in die Truppe ein. Sehr bald stellte es sich heraus, daß man mit Tom Brown, der die deutsche Sprache fließend beherrschte, einen wirklich überaus brauchbaren Feldsoldaten angemustert hatte. Er war nicht nur ein vorzüglicher Reiter und Schütze, sondern bewies auch bei vielen Gelegenheiten, daß er mit dem Leben in der Wildnis gut vertraut war und über einen äußerst praktischen Sinn und hohen persönlichen Mut verfügte. Im übrigen jedoch hielt er sich ganz für sich allein, schloß mit niemandem Freundschaft und brachte seine dienstfreien stunden regelmäßig außerhalb der Station auf der Jagd zu. Bei seinen Vorgesetzten, die seine Zuverlässigkeit und seinen Diensteifer schnell schätzen gelernt hatten, war er sehr gut angeschrieben.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.40). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)