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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

„Ereifere dich nicht. Diese Überlegungen habe ich selbst schon angestellt. Ich wünschte wahrlich, die unangenehme Entdeckung, die ich heute gemacht habe, wäre kompletter – Blödsinn, wie du dich etwas fähnrichmäßig auszudrücken beliebst. Doch – du kannst dir ja selbst ein Urteil über die Sache bilden. Heute vor zwei Wochen waren wir, wie du dich wohl noch erinnern wirst, ebenfalls Reiwitztal. Und wie heute verschwand damals Alice kurz vor dem Nachmittagskaffee. Angeblich wollte sie sich für eine halbe Stunde zurückziehen, da ihre Migräne ihr stark zusetzte. Während ihrer Abwesenheit schlenderte ich nun durch den Gemüsegarten, um mir die neu angelegten Spargelbeete anzusehen, nach deren Muster ich dann ja auch für uns in Wohambahe eine kleine Plantage herrichten ließ. Während ich noch ahnungslos im Schatten eines Gebüsches dastehe und mir die sauber bepflanzten Beete beschaue, höre ich die ins Freie führende hintere Gartenpforte in ihren Angeln kreischen und bemerke aufblickend unsere harmlose Miß Unverzagt, die mit hochrotem Kopf in der höchsten Eile den Mittelweg entlang dem Wohnhause zuläuft. Ich rufe sie an, sie fährt herum, starrt mich erst ganz entsetzt an, faßt sich aber schnell und fragt, wenn auch noch etwas unsicher: ‚Haben sie nicht Unia gesehen, Herr von Oiting? Ich suche sie überall. Sie ist nirgends zu finden.‘ Und dann verschwindet sie schnell im Hause, ohne eine Antwort abzuwarten. – Ich legte diesem Zusammentreffen damals natürlich keinerlei Wichtigkeit bei. Erst heute fiel es mir wieder ein, daß Alice um die Kaffeezeit abermals verschwunden war. Und da tat ich etwas, was man nur einem Verliebten verzeihen kann. Denn einer Dame nachzuspionieren, ist im allgemeinen eines Mannes unwürdig.“

„Keine moralischen Betrachtungen! Weiter, weiter! Ich bin wirklich mächtig gespannt.“

Otting berichtete nun mit allen Einzelheiten, wie er den Spuren Miß Unverzagts gefolgt war und was er an vielsagenden Fährten in dem kleinen, von Büschen umstandenen Talkessel gefunden hatte.

„Donner und Doria!“ meinte Heinz Röder kopfschüttelnd. „Das hätte ich von dem Mädel doch nicht gedacht! Spielt immer so den kindlich unschuldsvollen Wildfang und ist in Wahrheit eine ganz raffinierte, kleine Kröte! Aber wer in aller Welt kann nur jener Reitersmann sein, dem sie diese Zusammenkünfte in den Hügeln gewährt?“

„Ja, wenn ich das auch nur ahnte! Die einzige, die darüber Aufschluß geben könnte, verweigert jede Auskunft.“

„Wie – du hast Alice danach gefragt? So laß dir doch nicht jedes einzelne Wort gleichsam mit der Zange herausziehen, Fritz! Damit machst du einen wirklich ganz nervös.“

„Ruhe, Heinz, Ruhe! Du regst dich bei der Geschichte ja mehr auf, als ich selbst.“

„Nur in deinem Interesse. Ich weiß, wie nahe dir diese Enttäuschung geht, Fritz, wenn du auch mit wenig Glück den Gleichmütigen zu spielen versuchst.“

„Also – ich habe Alice gestellt, als wir vor dem Abendessen in der Küche die Bowle ansetzten. Sagte ihr – und ich glaube, meine Stimme hat dabei merklich gezittert – was ich vorher beobachtet hatte, und knüpfte daran absichtlich in recht väterlichem Tone die Bemerkung, wie sehr es das Ehepaar Reiwitz betrüben würde, wenn etwas von diesen Stelldicheins in die Öffentlichkeit dringen sollte.“

„Von Öffentlichkeit in dieser Gegend zu sprechen, wo auf die Quadratmeile kaum ein Mensch kommt, ist mehr als dichterische Übertreibung. Überhaupt – man sieht, was die Liebe aus den Menschen machen kann: Spione und – scheinheilige Heuchler. Denn diese ,väterlich‘ sanften Vorwürfe sind wirklich ein starkes Stück!“

„Sollte ich Alice etwa mit einer Eifersuchtsszene kommen? Mit welchem Rechte wohl? Auch so ließ sie mich schon genügend abfallen, wenn dabei allerdings auch ihre Augen in Tränen schwammen und ihre Entrüstung nicht ganz echt war. Sie gab mir nämlich zur Antwort: ‚Ich wünsche nicht, Herr von Otting, daß Sie sich in meine persönlichen Angelegenheiten mischen. Und wenn Ihnen auch nur noch ein wenig an meiner Meinung liegt, so behalten Sie Ihre heutige Entdeckung für sich.‘ Sie wollte offenbar noch mehr hinzufügen. Aber mit einem Male drehte sie sich kurz um und verließ fluchtartig die Küche. Den ,kompletten Blödsinn‘ wirst du hiernach wohl zurücknehmen müssen, lieber Heinz,“ fügte Otting bitter hinzu. „Denn Alice hat auch nicht den geringsten Versuch gemacht, dieses Stelldichein abzustreiten oder es wenigstens in ein harmloseres Licht zu rücken.“

„Unbegreiflich, einfach unbegreiflich.“ meinte Röder nachdenklich.

Da setzten sich die Pferde, die sich wohl nach dem heimatlichen Stalle sehnen mochten, ganz von selbst wieder in scharfen Trab und machten so jeder weiteren Unterhaltung ein Ende.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.39). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)