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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

„Mein Pa, dem ich mein Abenteuer mit den beiden Herero sofort brieflich mitteilte, hat mir diese Winchesterbüchse als Zeichen seiner Anerkennung zugeschickt. Famos von meinem Pa, nicht wahr, Herr Röder? Sehen Sie nur diesen großartigen Revolverschaft. Wie der sich in der Hand schmiegt!“

„Erst muß ich die Schußleistungen sehen, bevor ich das Fabrikat loben kann,“ erwiderte der junge Offizier, den man als den besten Schützen weit und breit kannte, zurückhaltend.

Aber schon nach einigen Probeschüssen zeigte es sich, daß es tatsächlich eine vorzügliche Waffe war, so recht geeignet für eine Frauenhand, mit ihrem leichten Gewicht und ihrer gefälligen Form. Und bei dem nun folgenden Scheibenschießen mußte Leutnant Röder wirklich seine ganze Ruhe und Fertigkeit aufbieten, um sich von Miß Unverzagt nicht überflügeln zu lassen.

„Sie werden mich noch um mein Renommee als bester Schütze bringen, Miß Unverzagt!“ sagte er lachend, als das junge Mädchen wiederum drei Kugeln nacheinander mit unfehlbarer Sicherheit ins Schwarze geschickt hatte.

Da meinte einer der Farmer ernst:

„Ich wünschte, unsere Frauen wüßten auch so gut mit Schußwaffen umzugehen. Wer weiß, wie lange es noch ruhig bleibt hier im Norden der Kolonie! Und sollte – was Gott verhüten möge! – je ein Aufstand losbrechen, dann könnten wir wahrlich jede Büchse nur zu gut brauchen.“




Oberleutnant von Otting und Leutnant Röder ritten durch die schweigende Nacht der Station Wohambahe zu.

Fahle Dämmerung lagerte über der einsamen Wüste. Vom klaren Himmel blinkten die Sterne herab, und ihr Licht spiegelte sich in mattem Silberglanz auf den glatten Blättern der gelblichen Dornensträucher wider, die den Weg einfaßten – falls man eben die in dem grundlosen, vor jedem Windzug hin- und herrieselnden Sande kaum sichtbare Wagenspur so bezeichnen wollte. Nur zuweilen klirrten leise die Kinnketten der Pferde, und das Lederzeug der Sättel knarrte jedesmal, wenn einer der Reiter sich in den Bügeln aufrichtete, um die steif gewordenen Beine etwas zu strecken.

Leutnant Röder hatte vergeblich versucht, eine Unterhaltung in Fluß zu bringen. Ottings Antworten wurden so knapp und mundfaul gegeben, daß das Gespräch trotz des reichlichen Stoffes, den die eben in Reiwitztal verlebte Geburtstagsfeier bot, bald ganz verstummte. Der Oberleutnant war offenbar sehr stark von seinen eigenen Gedanken in Anspruch genommen, die jedoch keineswegs erfreulicher Natur sein konnten, da sich nicht nur in seinen Mienen, sondern auch in seinem ganzen Wesen eine gewisse Gereiztheit ausdrückte.

Soeben hatten die beiden Reiter ihre Pferde nach einem längeren Trab wieder in Schritt fallen lassen.

Da stieß Otting ganz unvermittelt, indem er seinen breitrandigen grauen Filzhut mit einem Ruck aus der Stirn schob, ärgerlich zwischen den Zähnen hervor:

„Und eine kleine falsche Hexe ist sie doch, trotz ihrer schelmischen Braunäuglein, diese Miß Unverzagt!“

„Nanu?!“

Heinz Röder drehte den Oberkörper kurz nach rechts und schaute den Kameraden erst eine Weile mit ehrlich erstaunten Blicken an. Dann aber meinte er gutmütig vor sich hinnickend:

„Ihr habt euch heute gezankt. Das habe ich dir schon am Nachmittag angemerkt, mein Lieber. Doch tröste dich! Beim nächsten Wiedersehen ist deine kleine Hexe wieder ganz verständig. Und zum Schluß kommt ja doch die übliche Verlobung dabei heraus. Darauf wettet nicht nur Heinz Röder, sondern sicher auch unser ganzer Bekanntenkreis hier verschiedene Flaschen Sekt.“

„Verlobung?!“ Otting lachte bitter auf. „Du würdest die Wette verlieren! Eine junge Dame, die sich mit einem mir vorläufig leider noch völlig unbekannten Manne heimlich Stelldicheins gibt, dürfte für einen deutschen Offizier bei einer solchen Lebensfrage kaum mehr in Betracht kommen. Bitte, laß nur wieder die Zügel locker! Wir brauchen deswegen hier nicht gerade Halt zu machen, wenn ich auch deine Verwunderung vollständig begreifen kann. Ich selbst hab’s ja im ersten Augenblick auch nicht glauben wollen. Aber – es ist Tatsache: die unschuldige Miß Unverzagt hat einen heimlichen Verehrer, mit dem sie sich nicht nur heute, sondern fraglos auch schon am Sonntag vor vierzehn Tagen, zu einem süßen Schäferstündchen an einem versteckten Plätzchen getroffen hat.“

„Das ist kompletter Blödsinn, lieber Fritz!“ sagte Heinz Röder jetzt wirklich ärgerlich. „Wer sollte wohl dieser Verehrer sein? Vielleicht Markwart, der weiße Schafzüchter von Farmer Hartwig, oder einer unserer Unteroffiziere aus Wohambahe? Das wären so die einzigen Europäer, an die man hier im Umkreise von dreißig deutschen Meilen denken könnte, falls man eben einer Alice Wellerslow zutraut, daß sie ihr Herz an einen Menschen verlieren könnte, der seinem Stande nach weit unter ihr steht.“

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.38). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/4&oldid=- (Version vom 7.1.2019)