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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Fortsetzung.)

So war denn Alice Wellerslow eines Tages mit drei Riesenkoffern und einem alle Herzen vom ersten Augenblick an für sich erobernden, reizend schelmischen Lächeln auf der Farm eingetroffen. Und was das jugendfrische, pikante Gesichtchen versprach, hielt der ganze übrige Mensch. Es schien, als ob in Reiwitztal plötzlich ewiger Sonnenschein seinen Einzug gehalten hatte. Und daran war allein die tolle Alix mit ihren stets ein Liedchen trällernden Lippen und ebenso fröhlichen Augen schuld.

Die beiden Reiwitzschen Kinder wollten bald der neuen Tante überhaupt nicht mehr von der Seite gehen, und nicht viel anders war’s mit den Erwachsenen. Für die im harten Daseinskampfe hier in Südwest ernst und verschlossen gewordenen Naturen der Farmer bedeutete dies sonnige Wesen geradezu eine langentbehrte Erquickung; und niemand von den Nachbarn, noch weniger das Ehepaar Reiwitz selbst, konnte begreifen, weshalb Alice Wellerslow so kurzerhand in die große Korrektionsanstalt der afrikanischen Wüste verschickt worden war. Und als dann eines Tages Oberleutnant von Otting bei einem Besuche in höflich umschriebener Form eine diesbezügliche Frage an die junge Millionärstochter richtete, da ward ihm von dem kleinen Sprühteufelchen ohne viel Ziererei zur Antwort:

„Mein Pa hat mich drüben in St. Louis mit dem Sohne eines Geschäftsfreundes verheiraten wollen – mit einem Menschen, der nur einen Lebenszweck kannte: Dollars machen, wie wir Amerikaner sagen. Und für diesen Herrn habe ich mich natürlich bestens bedankt. Das war ja gar kein Mensch, das war nur eine elende Registrierkasse, ohne Herz, ohne Gemüt! Aber Pa wollte. Und wenn Pa will, ist schwer dagegen anzukämpfen – falls man nicht eben erst versucht, solche Freier wegzugraulen. Ich verstand’s. Wie ich der – ,Registrierkasse‘ dann beigebracht habe, daß ich keine passende Frau für ihn sei, werde ich lieber nicht erzählen, sonst sprechen Sie, Herr von Otting, kein Wort mehr mit mir. Kurz und gut, mein Verehrer verzichtete auf den Genuß einer weiteren Werbung und – Pa spedierte mich hier nach Reiwitztal zu Tante Luise, wofür ich ihm gar nicht genug dankbar sein kann. Denn es gefällt mir hier wundervoll.“

Der Heiterkeitserfolg dieser bündigen Erklärung war natürlich ein durchschlagender. Und Oberleutnant von Otting gab seinen Gefühlen kurz und treffend mit den ähnlich burschikosen Worten Ausdruck:

„Sie sind die großartigste Erfindung, gnädiges Fräulein, die ich je gesehen habe! Solche Raritäten kommen ja bekanntlich stets nur von – da drüben überm großen Teich!“

Einen Monat nach ihrer Ankunft sollte die in allen Sportarten wohlgeübte junge Dame dann Gelegenheit finden, sich ihren Ehrennamen „Miß Unverzagt“ bei einem nicht ganz ungefährlichen Abenteuer zu erwerben.

Sie war eines Nachmittages mit den Reiwitzschen Kindern ein Stück in den Busch gegangen, um nach mehreren wertvollen Zuchthennen zu suchen, die sich verlaufen hatten. Wie immer trug sie ihre mehrschüssige Selbstladepistole auch damals im Lederfutteral am Gürtel befestigt bei sich. Auf dieser Streife nach dem verloren gegangenen Federvieh verirrte sie sich und geriet immer weiter von der Farm nach Westen ab, wo die gelbgraue, nur von dichten Dornenfeldern bestandene Sandwüste sich in schauriger Eintönigkeit hinzieht.

Hier in der Einöde traten ihr plötzlich zwei Schwarze entgegen, die sie an der langen, mageren Gestalt und dem Gesichtsschnitt sofort als Herero erkannte. Die beiden Kerle, wahrscheinlich von ihrem Stamme ausgestoßene Rinderdiebe, waren ihr offenbar schon eine ganze Strecke heimlich gefolgt und wußten daher, daß Alice keinen männlichen Schutz in der Nähe hatte. Die Absichten dieser beiden, das junge Mädchen so frechlüstern angrinsenden Halunken waren unverkennbar. Aber sie hatten ihr Opfer, das sie schon sicher zu haben glaubten, zu ihrem Schaden recht falsch beurteilt. Kaum hatte nämlich der eine Alice mit rohem Griff um die Taille gefaßt, um sie mit sich fortzuziehen, als sie sich ihm auch schon blitzschnell entwand, einen Schritt zurücksprang und auf ihren Angreifer aus der schnell entsicherten Pistole einen Schuß abgab, über den der Bursche mit einem kunstgerechten Purzelbaum quittierte, ohne weiter an das Wiederaufstehen zu denken.

Sein Gefährte vergaß im ersten Schreck das Davonlaufen, und wie er dann seinen alten Vorderlader im Angesicht der drohend auf ihn gerichteten Pistolenmündung schußfertig zu machen suchte, war’s zu spät mit der Gegenwehr.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.36). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)