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Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.)

(Schluß.)

Ihre Entwaffnung verlief ohne jeden weiteren Zwischenfall. Sicherheitshalber wurde der jetzt wehrlose Feind dann sofort bis unter die Mauern der kleinen Feste gebracht, wo er leichter und mit Hilfe von wenigen Mannschaften zu überwachen war.

Endlich konnte Otting, da die Pflicht nicht mehr all seine Gedanken in Anspruch nahm, aufatmen. In den einander überstürzenden Ereignissen der letzten Stunden hatte er Alice Wellerslow völlig vergessen. Erst jetzt wurde er an sie erinnert, als plötzlich Tom Brown vor ihm stand und sich vorschriftsmäßig zurückmeldete.

Mit atemloser Spannung folgte der Oberleutnant dem kurzen Berichte des Freiwilligen, und hocherfreut schüttelte er ihm dann immer wieder und wieder die Hand.

„Also Ihnen und Miß Wellerslow haben wir diese unerwartete Hilfe zu danken! Ich habe mir auch schon vergebens den Kopf zerbrochen, wer das Dornenfeld nur angezündet haben könnte. Aufrichtig – an Sie hätte ich nie gedacht. Ich nahm an, daß es von umherstreifenden Herero aus Unvorsichtigkeit angesteckt worden sei. Diese Vermutung lag ja auch am nächsten. Jedenfalls war’s eine glänzende Idee von Ihnen, Brown! Sie wissen ja gar nicht, aus welcher verzweifelten Lage Sie uns dadurch befreit haben. Nochmals – ich danke Ihnen, Unteroffizier Brown!“

Er betonte das „Unteroffizier“ besonders stark. Aber in des Amerikaners unbeweglichem Gesicht zeigte sich über diese Beförderung auch nicht die geringste Spur von Freude. Mit frostiger Kälte sagte er nur:

„Ich hätte noch eine Bitte, Herr Oberleutnant.“

Befremdet schaute Otting ihn daraufhin an.

„Sprechen Sie,“ meinte er kurz, den vor ihm Stehenden erwartungsvoll fixierend.

„Vielleicht könnte mir eine andere Vergünstigung gewährt werden: Meine sofortige Entlassung aus den Diensten der Schutztruppe! Bestimmte Verhältnisse zwingen mich,“ fügte er erklärend hinzu, „sofort in meine Heimat zurückzukehren. Ich würde natürlich den Weg nach Norden einschlagen und versuchen, eine Niederlassung des Kongo-Staates zu erreichen, da die Straßen nach Swakopmund als dem nächsten deutschen Hafen vorläufig für einen einzelnen Reiter unmöglich zu passieren sein dürften.“

Was Tom Brown dann noch weiter zur Begründung seiner auffallenden Bitte vorbrachte, war nichts anderes, als die traurige Geschichte seiner Liebe zu Alice Wellerslow, wobei er jedoch Ottings Person als die des glücklichen Nebenbuhlers in keiner Weise erwähnte.

„Sie können sich wohl denken, Herr von Otting,“ sagte der Amerikaner jetzt in selbstbewußtem Tone, „daß einzig und allein die Ehrenpflicht, Miß Wellerslow allen ihrem Rufe irgendwie nachteiligen Gerüchten gegenüber vollkommen zu rehabilitieren, mich zu diesem Geständnis veranlaßt hat, ebenso auch, daß ein ferneres Verbleiben hier an diesem Orte, wo ich jeden Tag mit ihr zusammentreffen müßte, in uns beiden nur peinliche Erinnerungen wecken würde. Ich hoffe, Sie werden mich nunmehr vollständig verstehen und mein Gesuch genehmigen. Ich möchte möglichst noch heute aufbrechen.“

Wer wollte es Fritz von Otting verargen, daß er den Amerikaner unter diesen Umständen mit der größten Bereitwilligkeit von seinen Verpflichtungen sofort entband und ihm außerdem noch versprach, für einen zuverlässigen Eingeborenen-Führer zu sorgen, der Tom Brown dann bis hinauf nach Charlestown, der nächsten größeren Niederlassung des Kongostaates, bringen sollte.

Als der Oberleutnant wenige Minuten später den Hof der Station betrat, sah er schon von weitem eine feine, zierliche Mädchengestalt in einem dunkelgrünen Jagdkostüm, die soeben einen abgetriebenen Schimmel aus einem Eimer tränkte. Und dann stand er vor ihr und streckte ihr unbekümmert um all die neugierigen Augen, die diese Szene betrachteten, beide Hände entgegen.

„Miß Unverzagt,“ sagte er leise mit glücklichen Augen, „kleine, liebe Miß Unverzagt, jetzt endlich kenne ich das Geheimnis jenes Stelldicheins, das Sie mit so ängstlicher Scheu vor mir zu verbergen suchten. Alles, alles begreife ich nun! Wie falsch habe ich Sie nur beurteilt! Und wie mögen Sie gelitten haben unter diesen Heimlichkeiten, gerade Sie mit Ihrer natürlichen Offenheit und Ihrem aufrichtigen Herzen, dem jede Verstellung so fremd ist. Verzeihen Sie mir, Alice! Aber Eifersucht macht blind und ungerecht. Und – wenn Sie später einmal mein liebes, kleines Frauchen werden wollen, so verspreche ich hoch und heilig: Ich werde nie, nie mehr nach dem äußeren Schein urteilen und verurteilen!“

Da blitzte schon wieder in Miß Unverzagts Augen der alte, goldige Schelm auf:

„Wenn Sie mir das schriftlich geben, dann – dann – Wir Amerikanerinnen sind nämlich vorsichtig, besonders wenn sich’s um eine so ernste Sache wie eine – Heirat handelt.“




Noch ein langes, schweres Jahr sollte vergehen, ehe Fritz von Otting daran denken konnte, seine reizende Miß Unverzagt heimzuführen. Noch einmal wurde Wohambahe von den Herero, wenn auch nur für kurze Zeit, belagert. Dann war der Krieg hier im Norden beendet – das Hererovolk wurde in die endlosen, wasserarmen Einöden gedrängt, aus denen es kein Entrinnen gab.

Alice Wellerslow aber ist eine echte Soldatenfrau geworden, die die ihr verliehene Ordensauszeichnung mit berechtigtem Stolz an allen patriotischen Festtagen trägt. Und auch in dem Regiment ihres Gatten, der sich längst nach Deutschland hat zurückversetzen lassen, nennt man die allgemein beliebte Frau Alice von Otting nur „Miß Unverzagt“.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Miß Unverzagt (Laibacher Zeitung. Nr. 35–46.). Ignaz Alois Edler v. Kleinmayr, Laibach 1911, Seite 1(Nr.46). Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Mi%C3%9F_Unverzagt.pdf/12&oldid=- (Version vom 18.1.2021)