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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19

an einen Kollenchymring, der das zentrale Gefäßbündel hier rings umkleidet; die Plasmakörper der Kollenchymzellen stehen miteinander und mit den angrenzenden Zellen des reizbaren Parenchyms in Verbindung. Dagegen findet zwischen den Kollenchymzellen und den ihnen benachbarten Reizleitungszellen nach Haberlandt keine direkte Plasmaverbindung statt, die jedoch von Kienitz-Gerloff (s. Pflanzenzelle) später aufgefunden wurde. Außer in den Blattstielen und den Gelenkpolstern treten die reizleitenden Elemente auch in der Blattfläche selbst, und zwar in den Nerven derselben sowie in den Gefäßbündeln des Stengels auf und vermitteln, da sämtliche Stränge des letztern netzartig untereinander zusammenhängen, die Leitung des Reizes zu sämtlichen übrigen Blättern eines Pflanzenexemplars. Für das Verständnis der nähern Art und Weise, wie innerhalb der reizleitenden Zellen die Mechanik der Saftbewegung und die Filtration des Zellsaftes durch die porösen, mit Plasmaverbindungen versehenen Querwandtüpfel zu stande kommt, ist zunächst hervorzuheben, daß in den unversehrten Schlauchzellen des Weichbastes ein hoher hydrostatischer Druck herrscht, der eine starke Spannung ihrer Röhrenwände bedingt. Letztere ruft notwendigerweise im Momente der Verletzung eine nach dein Orte des verminderten Druckes gerichtete Saftbewegung hervor. Da durch das Durchschneiden eines einzigen Blattstieles der Zellsaft eines ganzen Sprosses oder selbst einer ganzen Pflanze in Bewegung versetzt werden kann, so können die Filtrationswiderstände an den zahlreichen Querwänden der Schlauchzellen nur sehr gering sein, so daß sich die reizleitenden Zellenzüge letzterer wie ein System miteinander in offener Verbindung stehender Röhren verhalten. Die Erscheinung, daß auf einen bloßen Stoßreiz die Leitung desselben nicht über die abgebrühte Blattstielzone hinausgeht, erklärt sich daraus, daß in diesem Falle die durch Erschütterung erregte Saftbewegung zu unbedeutend ist, um sich in genügender Stärke über die abgestorbene Stelle zu verbreiten. Die Frage, auf welche Weise die Übertragung des Reizes zwischen dem reizleitenden Gewebe und dem reizbaren Parenchym des Gelenkpolsters zu stande kommt, beantwortet Haberlandt dahin, daß dies durch die mit der Druckschwankung verbundene Volum- und Gestaltänderung des Gelenkpolsters selbst geschieht. Die nach einem Stoßreiz eintretende Fortleitung desselben beruht darauf, daß auf die schwellkräftigen (turgeszenten) Schlauchzellen von außen ein Druck ausgeübt wird, der das hydrostatische Gleichgewicht des Zellsaftes stört. Die Drucksteigerung pflanzt sich bis in das nächste, noch ungereizte Gelenk genau so fort, wie in einer Kautschukröhre mit Wasser von bestimmtem hydrostatischen Druck eine lokale Drucksteigerung nach Art einer Pulswelle im Blute von einem Röhrenende zum andern fortschreitet; ebenso muß auch eine lokale Druckverminderung wirken, wie sie bei Verwundung eines Blattes eintritt. Daß auch von Organen ohne Reizleitungszellen, z. B. von Seitenwurzeln aus, die Reizbewegung der Blätter erregt werden kann, geht aus einem ältern Versuch Dutrochets hervor, der einen kleinen Teil des Wurzelsystems einer Mimose mit Schwefelsäure begoß, worauf nach einigen Stunden sämtliche Blätter der Sprosse sich in der Reihenfolge von unten nach oben senkten. In diesem Falle hatten die Wasserleitungsröhren der Pflanze (Gefäße und Tracheiden) in Wurzel und Stengel die schädliche Substanz aufgenommen und zu den bei der Bewegung direkt thätigen Organen geleitet. Änderungen im normalen Zustand innerhalb der Wasserleitungs- und der Luftführungsbahnen können jedenfalls auch eine Störung des hydrostatischen Gleichgewichts innerhalb der Reizleitungsbahnen und damit auch eine von den Gelenkpolstern ausgehende Blattbewegung bedingen, da es experimentell feststeht, daß auch bei durchschnittenen Reizleitungszellen unter Umständen die Druckänderung im Zellsafte des Holzkörpers fortgepflanzt werden kann; es erklärt sich dies durch Übertragung des Druckes aus den Gefäßen durch angrenzendes Gewebe auf die eigentlichen Reizleitungszellen.

Bei andern P., z. B. der von den reizbaren Borsten ausgehenden Bewegung der Blätter von Dionaea, bei den Drüsen von Drosera, den Ranken der Kürbisgewächse u. a., ist die Fortleitung des Berührungsreizes an die Plasmaverbindungen der Zellen geknüpft. Um so merkwürdiger erscheint es, daß bei der Sinnpflanze trotz des Vorhandenseins dieser Verbindungen die Reizleitung auf andern Wegen erfolgt. Dieselben sind hier durch Umgestaltung von Elementarorganen zu stande gebracht, die auch bei einigen andern Leguminosen, wie Phaseolus, Apios, Sesbania, Vigna, Lablab u. a., als gerbstoff- oder milchsaftführende Sekretschläuche vorkommen. Außer einigen ebenso wie Mimosa pudica auf Stoßreiz empfindlichen Mimosen gibt es auch andre, in ganz geringem Grade reizbare Arten (so M. speciosa Jacq.), deren sekundäre Blattstiele sich erst nach heftigem Schütteln senken; auch legen sich die Fiederblättchen oberwärts nicht vollständig zusammen, die primären Blattstiele sind ganz oder fast unbeweglich, und die Bewegung erfolgt nur sehr langsam sowie nur mit wenig umfangreicher Fortleitung des Reizes. Die Schlauchzellen der erwähnten Art sind an den Querwänden ungetüpfelt, aber hier doch von größerer Zartheit als sonst, so daß hierin der Anfang der bei M. pudica so auffallenden Tüpfelbildung angedeutet erscheint. Vielleicht hat von diesem Ausgangspunkt aus bei den Vorfahren der M. pudica das reizleitende System sich weiter ausgebildet. Der Umstand, daß bei diesen Pflanzen zu Längsreihen verbundene Sekretzellen bereits vorhanden waren, mag es bedingt haben, daß nicht wie sonst die Plasmaverbindungen, sondern jene Schlauchreihen die Fortleitung des Reizes übernommen haben. Vgl. Haberlandt, Das reizleitende Gewebesystem der Sinnpflanze (Leipz. 1890).

Pflanzenkrankheiten. Der pflanzliche Organismus steht unter denselben Entwickelungsgesetzen und Einflüssen wie der Tierkörper, ist mithin wie dieser zu beurteilen und zu behandeln. Die Technik der Behandlung hat sich selbstverständlich der abweichenden Organisation und dem entsprechend den anders gearteten Bedürfnissen anzupassen. Das angeerbte Entwickelungsgesetz bedingt, daß auch die Pflanze wie der Tierkörper in allen Generationen denselben Formenkreis und dieselben Phasen der stofflichen Zusammensetzung innerhalb bestimmter Zeitabschnitte durchläuft. Genaue Grenzwerte, die durch bestimmte Zahlen ausgedrückt werden könnten, gibt es weder für die Zeitdauer der Entwickelung, d. h. für das Lebensalter, noch für die gestaltliche oder stoffliche Zusammensetzung einer Spezies; wir sehen vielmehr bei den einzelnen Individuen derselben Art stets Abweichungen auftreten. Indes bewegen sich diese Schwankungen innerhalb der von uns geschichtlich überblickbaren Zeit doch immer zwischen gewissen Maximal- und Minimalgrenzen, welche der Pflanzenspezies

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s0735.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)