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kommen konnte. Das Erbe Roms, dieses mächtigsten Kulturstaates, übernahm nach seinem Fall Byzanz, um es zu bewahren.

Daß Byzanz im Mittelalter der Führer der Kultur von Europa war, beweisen am besten die künstlerischen Denkmäler der sogenannten romanischen Epoche, welche sich fast in ganz Westeuropa vorfinden.

Und wenn wir die baulichen Altertümer Kyjiws vom zehnten und elften Jahrhundert mit denen Westeuropas vergleichen, wenn wir die Mosaiken der sogenannten unerschütterlichen Muttergotteswand der Sophienkirche und Ueberreste der Dyßjatynna-Kirche den baulichen Ueberresten Westeuropas gegenüberstellen, so muß jeder unvoreingenommene Forscher zugeben, daß die Kyjiwer Sophienkirche mit der Sophienkirche von Konstantinopel zumindest so innig verbunden ist, wie Sankt Markus mit Venedig.

In Deutschland, Frankreich und England finden wir in den gleichen Epochen nichts, was mit diesen Ueberresten der einstigen ukrainischen Kultur auf eine Stufe gestellt werden könnte.

Und die Werke der Kunst sind der sicherste und objektivste Richter über den Grad der Kulturentwicklung. Die Einwendung, daß diese Mosaiken von griechischen Künstlern ausgeführt worden sind, verändert nichts und beweist nur, daß das ästhetische Gefühl des Ukrainers des elften Jahrhunderts bereits so hoch stand, daß er in Formen arbeitete, welche wir jetzt als den Höhepunkt der Aesthetik der damaligen Zeit bezeichnen.

Die im Laufe des zehnten, elften und zwölften Jahrhunderts mit Byzanz geschlossenen Handelsverträge zeugen von engen Wechselbeziehungen und weisen darauf hin, daß Byzanz der Ukraine seine Waren und Erzeugnisse des Gewerbefleißes lieferte, während die letztere hauptsächlich Rohstoffe zum Umtausch anbot. Es wurden

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Menschen- und Völkerleben 1 (1916), Heft 6/7. Langguth, Esslingen am Neckar 1916, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Menschen-_und_Voelkerleben_1916_Heft_6-7.pdf/7&oldid=- (Version vom 25.2.2024)