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Einen Augenblick sah die Untreue der kleinen Szene beglückten Wiederfindens zwischen Mutter und Kindern zu, dann entriß sie die Kleinen mit hartem Griff den Mutterarmen, und hart klangen ihre Worte: „Halt! Noch seid ihr nicht aus meinem Bann erlöst, denn ebensowenig, wie ihr meine Blumen zählen könnt, wirst du, Stiefmutter, deine Aufgabe lösen: Irgendwo im weiten Walde sprang mein Goldreif von meinem Arme; ich suchte ihn vergeblich, den mußt du mir verschaffen.“

Wohl war es ihr sehr hart, die Kinder noch länger der Willkür der schlimmen Frau preisgegeben zu wissen, doch wollte Frau Irmela nicht rasten, bis sie das Rettungswerk vollbracht hatte.

Beide Hände streckte sie der Treue entgegen, erzählte ihr alles, fragte, welche Bewandtnis es mit dem Goldreif habe, und bat dann um Rat und Hilfe.

Die Gütige versprach, ihr beizustehen, zeigte auf ihren fest um den Arm geschmiedeten Goldreif und gab die Auskunft:

„Sie trug den gleichen Reifen
Als Pflegeschwester mein,
Solang’ sie treu den Pflichten
Blieb makellos und rein.
Doch als sie untreu wurde,
Sprang ihr der Reif entzwei,
Sprang hüpfend fort; im Dickicht
Fand ihn die Wasserfei.
Sie nahm das Kleinod mit sich,
Den Reif von Golde schwer,
Barg ihn in Wassers Grunde, –
Kein Aug’ erblickt ihn mehr.
Im dunklen Nixenweiher
Liegt er seit jener Nacht,
Im tiefen, tiefen Walde,
Wo Nixe ihn bewacht.“

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_129.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)