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so daß ihm nichts von Dem, was er einmal in sich aufgenommen, entfalle, sondern in jedem Augenblick die Erinnerung daran ihm zu Gebote stehe. Das Wesen seiner Kunst besteht in getreuem Ausprägen und Darstellen von Gedanken und Empfindungen und Offenbaren selbst des Geheimsten; und so wird, was Thucydides[1] zum Lobe des Perikles sagt, auch des Tänzers höchstes Lob ausmachen: „das Passende wissen und es gehörig aussprechen.“ Unter diesem Aussprechen aber verstehe ich hier eine ausdrucksvolle Geberdensprache.

37. Den Stoff für seine Leistungen bietet ihm die Fabelwelt und alte Geschichte dar: dieser Stoff muß seinem Gedächtnisse stets gegenwärtig seyn, und diesen hat er in geschmackvollen Darstellungen wiederzugeben. Mit allen Begebenheiten, von der Scheidung des Chaos und Bildung des Weltalls an bis auf die Zeiten der Aegypterin Cleopatra, soll er innig vertraut seyn. Diese Epoche nämlich begrenze den Umfang des gelehrten Wissens eines mimischen Tänzers, und so bewahre er denn eine genaue Kenntniß von Allem, was zwischen jenen beiden Endpunkten liegt. Hieher gehören z. B. die Verstümmelung des Uranus, das Werden der Venus, der Kampf der Titanen, die Geburt Jupiter’s, die List der Rhea, wie sie ihrem Gemahl einen Stein statt des Kindes in die Hände spielte, die Fesselung des Saturn, die Theilung der Welt unter die drei Götterbrüder;

38. ferner die Empörung der Giganten, des Prometheus Feuerdiebstahl, Menschenbildnerei und Bestrafung, die Macht des Eros und Anteros, die Irren der schwimmenden


  1. II, 60.
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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 883. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0883.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)