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Betrachten wir nur gleich jene so gewöhnliche, aber sehr große Sünde dieser Autoren, daß sie größtentheils das Geschäft, die Ereignisse zu berichten, als Nebensache behandeln, und sich dagegen mit Lobeserhebungen der Fürsten und Feldherrn zu schaffen machen, wobei sie ihre Partei bis in den Himmel erheben, den Feind hingegen über alle Gebühr herabsetzen. Diese Leute scheinen gar nicht zu wissen, daß die Gränzlinie zwischen der Geschichte und der Lobrede nichts weniger als fein gezogen ist,[1] ja daß diese beiden Dinge, wie die Musiker sprechen, um zwei ganze Octaven aus einander liegen. Der Lobredner wird sich, wenn es ihm einzig und allein nur darum zu thun ist, seinen Helden um jeden Preis zu loben und sich ihm dadurch angenehm zu machen, wenig darum bekümmern, ob er auf Kosten der Wahrheit zu seinem Zwecke gelange. Allein die Geschichte verträgt auch nicht die mindeste Beimischung des Unwahren, so wenig als die Luftröhre (wie uns Aesculap’s Söhne versichern) im Stande ist, einen fremden Körper in sich aufzunehmen.

8. Ferner scheint ihnen unbekannt zu seyn, daß Zweck und Gesetze der Geschichtschreibung gar sehr verschieden sind von denen der Poesie. Diese hat unumschränkte Freiheit, und des Dichters Willkühr ist ihr einziges Gesetz: in seiner Begeisterung und von den Musen selbst inspirirt, muß es ihm erlaubt seyn, Flügelrosse vor einen Wagen zu spannen, und seine Helden und Genien bald auf Wasserwogen, bald


  1. Im Original: „daß es nicht ein schmaler Isthmus ist, der die Geschichte von der Lobrede trennt, sondern daß sich eine gewaltige Mauer zwischen beiden befindet.“
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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 641. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0641.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)