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gerade so viel wäre, als wenn Einer die weitläuftigsten Vorbereitungen und Zurüstungen machte, um auch einmal etwas besser zu speisen, aber während derselben Hungers stürbe?

78. Und endlich scheinst du mir gänzlich vergessen zu haben, daß die Tugend bloß im Thun, in einer rechtschaffenen, weisen, männlichen Handlungsweise besteht; ihr aber (und wenn ich sage ihr, so meine ich eure philosophischen Häupter) laßt es euch nicht kümmern, nach jener thätigen Tugend zu trachten, sondern studirt über erbärmlichen Wortklaubereien, künstlichen Schlüssen und unauflöslichen Problemen, und bringt mit dergleichen Dingen den größten Theil eures Lebens hin. Wer hierin sich als Meister zeigt, der feyert in euern Augen die schönsten Triumphe. Das ist es denn auch, denke ich, was ihr an eurem alten Lehrmeister so sehr bewundert, daß er es nämlich so gut versteht, Alle, die sich mit ihm einlassen, durch schlaue Fragen, Spitzfindigkeiten und verfängliche Kniffe in Verlegenheit zu setzen und in die Enge zu treiben. Und so macht ihr euch, unbekümmert um die Frucht (ich meine die Veredlung der Handlungsweise) nur mit der Rinde des Baumes zu schaffen, und begnügt euch, in euren Zusammenkünften seine Blätter abzuschütteln. Sage selbst, lieber Hermotimus, sind es nicht bloß solche Dinge, womit ihr euch vom frühen Morgen bis an den Abend beschäftiget?

Hermotimus. Ich kann es nicht läugnen.

Lycinus. Hätte man da so unrecht, wenn man sagte, daß ihr nach dem Schatten jaget, ohne den Körper zu fassen, oder nach der alten abgestreiften Haut der Schlange greifet,

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0591.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)