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sind, alle die geheimen Schwächen ihrer Natur unter die Leute bringen werden. Das ist’s, was sie ängstigt. Diese Herren gleichen insgesammt jenen prächtigen Bücherrollen, die mit goldenen Knöpfen und auf der Außenseite in der schönsten Purpurfarbe prangen; öffnet man sie aber, was findet man? des Thyestes Geschichte, wie er seine eigenen Kinder verzehrt, oder des Oedipus, wie er mit seiner Mutter Blutschande treibt, oder des Tereus, wie er zwei Schwestern auf einmal nothzüchtigt. Gerade so ist es mit diesen Großen: ihr glänzendes, goldenes und purpurnes Aeußere birgt des Abscheulichen so viel, daß man bei einem Jeden Derselben, wenn man sein Inneres aufrollen wollte, Stoff genug zu einer Euripideïschen oder Sophokleïschen Tragödie fände. Ihr eigenes Bewußtseyn sagt ihnen Dieß; daher ist Jeder, der ihr Haus verlassen hat, und nun vielleicht, weil er sie genau kennt, ihre Jämmerlichkeiten der Welt zum besten gibt, ein Gegenstand ihres Hasses und ihrer Verfolgung.

42. Endlich will ich dir noch, mein lieber Timokles, in der Art des berühmten Leben-Gemäldes von Cebes ein anschauliches Bild von dieser Lebensart entwerfen: ein Blick auf dasselbe wird dir sagen, ob du dich zu ihr entschließen sollst oder nicht. Zwar wünschte ich wohl, daß mir ein Apelles, Parrhasius, Aëtion oder Euphranor bei diesem Geschäfte zur Hand ginge: allein da solche wackere Meister heut zu Tage selten geworden sind, so begnüge ich mich, dir dieß Bild in seinen einfachen Umrissen zu geben.

Denke dir also einen, nicht auf ebenem Boden, sondern auf einem Hügel stehenden Tempel mit einer von hohen Säulen getragenen und von Gold schimmernden Vorhalle. Der

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Lukian von Samosata: Lucian’s Werke. J. B. Metzler, Stuttgart 1827–1832, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lucians_Werke_0481.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)