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DIE INTERIEURS IN DER ROTUNDE
(12. juni 1898)


In meinem letzten berichte habe ich recht ketzerische forderungen aufgestellt. Weder der archäologe, noch der dekorateur, noch der architekt, noch der maler oder der bildhauer soll uns die wohnung einrichten. Ja, wer soll es denn dann tun? Nun, ganz einfach: Jeder sei sein eigener dekorateur.

Allerdings werden wir dann nicht in „stilvollen“ wohnungen wohnen können. Aber dieser „stil“, der stil mit den gänsefüßchen, ist auch gar nicht nötig. Was ist denn dieser stil überhaupt? Er läßt sich schwer definieren. Meiner meinung nach fand jene wackere hausfrau auf die frage, was stilvoll sei, die beste antwort, welche sagte: „Wenn auf dem nachtkastel ein löwenkopf ist, und dieser löwenkopf ist dann auf dem sofa, auf dem schrank, auf den betten, auf den sesseln, auf dem waschtisch, kurz auf allen gegenständen des zimmers gleichfalls angebracht, so nennt man dieses zimmer stilvoll.“ Hand aufs herz, meine herren gewerbetreibenden, haben sie nicht redlich dazu beigetragen, eine solche widersinnige meinung ins volk zu bringen? Nicht immer war es ein löwenkopf. Aber eine säule, ein knopf, eine balustrade wurde immer in alle möbel hineingepreßt, bald verlängert, bald verkürzt, bald verdickt, bald verdünnt.

Solche zimmer tyrannisierten ihren armen besitzer. Wehe dem unglücklichen, der es gewagt hätte, sich etwas hinzuzukaufen! Denn diese möbel vertrugen absolut nichts anderes in ihrer nähe. Bekam man etwas geschenkt, konnte man es nirgends hinstellen. Und wenn man die wohnung wechselte und im neuen heim nicht genau dieselben

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)