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Runde machte, zu täuschen, pflegten wir Rock und Hose desjenigen, der sich gerade beim Graben befand, mit Stroh auszustopfen und die Puppe in die Lage eines schlafenden Menschen hinzulegen.

Nach fünfundfünfzig Tagen und ebenso vielen Nächten unglaublichster Arbeit waren wir endlich dem Ziele nah. Es blieb uns nur noch übrig, einen Stein vom Platze zu verrücken, und wir mußten am Ufer des Flusses sein. Alles schien uns zu begünstigen, der Wärter hatte seine Runde früher als sonst gemacht, und ein dichter Nebel gab uns die Gewißheit, daß die Brückenpatrouille uns nicht erblicken würde. Der lockergemachte Stein gibt unseren Kräften nach und fällt in die Tiefe, aber im selben Moment stürzt, wie von der Schleuse an einer Mühle befreit, das Wasser herein.

Wir hatten die Entfernungen schlecht berechnet. Unser Loch befand sich einige Fuß unter dem Wasserspiegel des Flusses. In wenigen Augenblicken war es überschwemmt. Wir wollten zuerst selbst in die Öffnung tauchen, aber die starke Strömung hinderte uns daran. Wir sehen uns schließlich gezwungen, selbst um Hilfe zu rufen, um nicht die ganze Nacht unter Wasser zu bleiben. Auf unser Geschrei kamen der Pförtner und die Schließer herbeigelaufen; sie waren starr vor Verwunderung, als sie uns bis an die Knie im Wasser stehen sahen. Bald war alles aufgeklärt, die Zelle wurde repariert, und uns sperrte man auf neue Art ein. Man kettete uns drei so zusammen, daß die geringste Bewegung des einen den beiden anderen fürchterliche Schmerzen verursachte.

Diese Katastrophe gab mir Veranlassung zu höchst traurigen Betrachtungen, aber die Stimme Desfosseux’ entriß mich ihnen bald. Er sagte mir im Argot, daß wir nicht verzweifeln sollten, ich solle mir an ihm ein Beispiel nehmen und Mut fassen. Freilich, dieser Desfosseux besaß eine Charakterstärke, die nichts niederdrücken konnte. Halbnackt, aufs kahle Stroh geworfen, in einem Loch, in dem man kaum liegen konnte, dreißig

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_110.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2019)