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doch besann ich mich bald, lief heim, holte ein Beil und hieb mich wieder los“. „Das heißt aufgeschnitten“, sagte der König, „das sind ja die gröbsten Lügen die ich mein Lebtag gehört habe“. „Destobesser“ antwortete der Bauer, „so ist euere Tochter mein“. Dem König ward Angst und er gab ihm ein groß Stück Geld, um ihn los zu werden. Das war dem Bauer eben recht, denn er hatte schon gesehen daß die Königstochter trübe Augen hatte und gewaltig häßlich war. Münchhausen hat den Schluß unseres Märchens gekannt und in seinen Reisen (S. 53) benutzt. Die meisten dieser volksmäßigen Lügen sind nicht von diesem erfunden, sondern uraltes Gut, und brauchen nur in einem andern Ton erzählt zu werden, um in weitverbreitete Mythen einzugreifen, z. B. das Winden eines Seiles aus Spreu ganz übereinkommend mit dem vinda or sandi síma (Harbardsl. 17), „vinde Reb af Sande og med de Reb op til Maanen löbe“ (Danske Viser 1, Nr. 43 und Anmerk.) und dem latein. ex arena funem nectere, ähnlich der aus Wasser und Wein gedrehten Peitsche; s. Wunderhorn 2, 411 das Dietmarsenlied. Ganz in diesem Geist und ohne Zweifel aus einem Volksmärchen stammend ist was Calderone in der großen Zenobia dem Persius in den Mund legt (Gries 1, 46. 48). Er sollte Trauben für das Heer in einem Weinberg holen, wo jede Beere so groß als ein Faß war. Um sich vor dem Hüter des Bergs, einem Riesen, zu verbergen, machte Persius listig eine Beere hohl und verkroch sich in die Schaale. Der Riese aber bekam Lust zu essen, nahm gerade die Beere, in welcher jener saß und schluckte ihn halbgekaut hinunter. Doch weil er glaubte der Mensch sei der Kern der Beere, spie er ihn wieder aus, so daß er in einem Bogen bis zum Heer funfzig Meilen weit geflogen kam. Um auf den Wall zu gelangen, zog er nun mit einem Strick den Gipfel einer davor stehenden Tanne herab, setzte sich darauf, ließ die Schlinge nach, und ward so auf den Wall hinauf geschnellt. Ein Lügenmärchen schon im Modus florum aus dem 10. Jahrhundert in Eberts Überlieferungen 1, 79. Norwegisch bei Asbjörnsen S. 284, serbisch bei Wuk Nr. 1, slavonisch bei Vogl Nr. 2, wendisch bei Haupt Nr. 2. Vergl. das englische Märchen von Jack und dem Bohnenstengel (s. unten), auch die rabbinischen Mythen bei Helwig Nr. 2 und 3.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_194.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)