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Zehntes Kapitel

Beate war im Schlosse mit ihrem Kinde allein. Günther war in Berlin. Er hatte es zu Hause nicht ausgehalten. Schuldgefühl, eine ergebene, bleiche Frau, Traurigkeit in allen Winkeln, das war mehr, als er ertragen konnte. Dazu das quälende Verlangen nach Mareile. Jeder Nerv in ihm hungerte nach ihr. Ein Narr wäre er, wollte er so weiter leben! Er rief Peter und ließ die Koffer packen. „Mach’ schnell,“ befahl er, „morgen um 7 Uhr 30 geht’s nach Berlin!“ und seine Stimme klang wieder hell und lebenslustig.

Seneïde mußte in eine Heilanstalt gebracht werden. Die Aufregung der letzten Zeit war zu stark für ihre kranken Nerven gewesen. Sie fühlte die Krankheit nahe, etwas Dunkeles, Unheimliches, das sich eng um ihr Bewußtsein zusammenschob. Hilflose Angst lag in ihrem Blick. Unablässig ging sie in dem großen, leeren Ahnensaal auf und ab. Beate hörte beständig den rastlosen Schritt, begleitet von dem leisen Rauschen der Schleppe des langen Trauerkleides, und die klagende Stimme, die Bibelsprüche hersagte: „Laß mich eine kleine Weile, daß ich ausweine meinen Schmerz, ehe ich in das Land gehe, da es stockdickfinster und Nacht des Todes ist.“

Eines Morgens hielt die große, schwarze Kutsche vor der Türe. Frau Bier stand auf der Treppe und wartete auf Seneïde, um sie fortzubringen. Seneïde ließ sich teilnahmslos zum Wagen führen. Nur als ihr Blick auf Beate fiel, murmelte sie klagend: „Beating – bleibt allein im

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/122&oldid=- (Version vom 1.8.2018)