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sonach die Pole des Mondes in Bezug zur Sonne nicht abweichen, so steht dennoch der Pol unserer Ekliptik, welche sie für die mittlere Ekliptik halten, vom Pol der Mondbahn ab, da ja dieser um jenen in einer Zeit von 19 Jahren herumgeht, [vergl. N. [98.] [129.], C. 61 u. S. 13, m.] Wenn also die Stellung der Venus zwischen Erde und Sonne gesucht wird, so kann jene nicht durch die Elongation in der Länge, sondern nur allein durch die Breite gesehen werden. Die südliche Grenze derselben nun ist im Zeichen der Fische, das aphele Intervall derselben nicht weit vorher im Anfang des Wassermanns; sie wird also dann von der Erde und dem Monde aus in den gegenüberliegenden Zeichen, dem Löwen und der Jungfrau gesehen. Wenn also der Pol des Mondes sich diesem Zeichen der mittleren Ekliptik zuneigt, neigt er gegen Norden und dann kann die Venus klarer und deutlicher bei der Sonne durch ihre Breite gesehen werden, weil eben die Breite des Aphels grösser ist als die des Perihels.


93.


Diese Erscheinung ist wohl schon Manchem, der den Mond mit einiger Aufmerksamkeit beobachtete, aufgefallen, ohne dass er sich den Grund dafür klar machen konnte, ja, er ist wohl gar bei seinen Betrachtungen zu dem Resultat gekommen, dass eigentlich gerade das Gegentheil stattfinden müsse. Denn in der That ergiebt eine einfache Ueberlegung, dass der Mond, wenn er aufgeht, ungefähr um die Länge eines Erdhalbmessers, also um ca. 6400 km entfernter vom Beobachter ist, als wenn er hoch am Himmel steht [vergl. in Fig. 18 die Linien aM und aMI], mithin auch bei der Kulmination in MI grösser gesehen werden müsste, wie beim Aufgang in M, mindestens nicht kleiner.

Es kann sich hier also nur um eine Täuschung handeln, und zwar hat diese einentheils einen optischen Grund, anderseits ist es eine einfache Urtheilstäuschung. Im Fall nämlich der Mond dicht am Horizont steht [M], sehen wir ihn von a aus durch eine Luftschicht, die der Linie a b, wenn er kulminirt [MI] dagegen nur durch eine solche, die der Linie a bI entspricht. Die erstere Schicht ist aber bedeutend dicker, wie die

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 093. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_121.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)