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Johannes Keplers Traum oder die Astronomie des Mondes.


Als im Jahre 1608 die Zwistigkeiten zwischen den Brüdern Kaiser Rudolph und Erzherzog Matthias ihren Höhepunkt erreicht hatten1 und deren Handlungen vielfach auf Beispiele aus der böhmischen Geschichte zurückgeführt wurden, richtete ich, durch die allgemeine Neugier bewogen, meinen Sinn der böhmischen Legende zu, und als ich dabei zufällig auf die Geschichte der durch ihre magische Kunst berühmten, heldenmüthigen Zauberin Libussa2 stiess, geschah es eines Nachts, dass ich, nach der Betrachtung der Sterne und des Mondes für Höheres empfänglich geworden, auf meinem Bette einschlief, und da schien es mir, als läse ich in einem auf der Messe3 erworbenen Buche Folgendes:

Mein Name ist Duracoto4, mein Vaterland Island5, das die Alten Thule6 nennen, meine Mutter war Fiolxhilde7, deren unlängst erfolgter Tod mir die Freiheit verschaffte, zu schreiben, wonach ich schon lange vor Begierde brannte. So lange sie lebte, sorgte sie eifrig dafür, dass ich nicht schriebe: denn, meinte sie, es gäbe gar viele verderbliche Verächter der Künste, welche verläumdeten, was sie nicht verständen und dem Menschengeschlechte frevelhafte Gesetze gäben, durch welche nicht wenige bereits zum Schlund des Hekla8 verurtheilt seien9. Den Namen meines Vaters hat sie mir nie gesagt, er sei Fischer gewesen und als Greis von 150 Jahren gestorben, als ich erst 3 Jahre zählte und nachdem er schon ungefähr 70 Jahre in seiner Ehe gelebt habe10.

In den ersten Jahren meiner Kindheit pflegte meine Mutter, mich an der Hand führend oder auf den Schultern tragend, mich häufig auf den Gipfel des Hekla zu führen, besonders um die Zeit des Johannisfestes, wo die Sonne 24 Stunden sichtbar bleibt und es keine Nacht giebt11. Die Mutter sammelte dann Kräuter, die sie zu Hause unter mancherlei Ceremonien und Sprüchen zubereitete12, in Säckchen von Bockshaut that und sie so dem Schiffsvolke des benachbarten Hafens zum Verkauf bot13.

Als ich einstmals aus Neugier ein solches Säckchen aufschnitt, das die nichtsahnende Mutter bereits verkauft hatte, und die Kräuter sowie die mit verschiedenen Zeichen bestickte Leinwand14 herausnahm und sie so um den kleinen Gewinnst betrog, wurde sie darüber so erzürnt, dass sie mich dem Schiffer als

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_031.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)