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300 Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transc. Dial. 300

 Der Ausdruck eines Princips ist zweydeutig und bedeutet gemeiniglich nur ein Erkentniß, das als Princip gebraucht werden kan, ob es zwar an sich selbst und seinem eigenen Ursprunge nach kein Principium ist. Ein ieder allgemeiner Satz, er mag auch so gar aus Erfahrung (durch Induction) hergenommen seyn, kan zum Obersatz in einem Vernunftschlusse dienen; er ist darum aber nicht selbst ein Principium. Die mathematische Axiomen (z. B. zwischen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie seyn) sind sogar allgemeine Erkentnisse a priori, und werden daher mit Recht, relativisch auf die Fälle, die unter ihnen subsumirt werden können, Principien genant. Aber ich kan darum doch nicht sagen: daß ich diese Eigenschaft der geraden Linien, überhaupt und an sich, aus Principien erkenne, sondern nur in der reinen Anschauung.

 Ich würde daher Erkentniß aus Principien dieienige nennen, da ich das besondre im allgemeinen durch Begriffe erkenne. So ist denn ein ieder Vernunftschluß eine Form der Ableitung einer Erkentniß aus einem Princip. Denn der Obersatz giebt iederzeit einen Begriff, der da macht, daß alles, was unter der Bedingung desselben subsumirt wird, aus ihm nach einem Princip erkant wird. Da nun iede allgemeine Erkentniß zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kan, und der Verstand dergleichen allgemeine Sätze a priori darbietet, so können diese denn auch, in Ansehung ihres möglichen Gebrauchs, Principien genant werden.

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_300.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)